Fragestellungen der Studie:
Rezension zur Studie
Richter, E., Richter, D. & Marx, A. (2018). Was hindert Lehrkräfte an Fortbildungen teilzunehmen? Eine empirische Untersuchung der Teilnahmebarrieren von Lehrkräften der Sekundarstufe I in Deutschland. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 21(5), 1021–1043.FIS BildungBereits häufiger wurde untersucht, welche Bedingungen die Teilnahme von Lehrkräften an Fortbildungen begünstigen, jedoch ist bisher weniger erforscht, was Lehrkräfte ggf. davon abhält, an Fortbildungsveranstaltungen teilzunehmen.
Das Autorenteam um Eric Richter geht daher der Frage nach, welche Unterschiede bestehen zwischen Lehrkräften, die an Fortbildungen teilnehmen, und solchen, die nicht an Fortbildungen teilnehmen, und zwar im Hinblick auf demografische (z. B. Geschlecht) und professionelle Merkmale (z. B. Berufserfahrung, Beschäftigungsumfang). Weiterhin untersuchen sie, welche Teilnahmebarrieren sich identifizieren lassen und inwieweit diese Teilnahmebarrieren mit den Fortbildungsaktivitäten zusammenhängen.
Basis der Studie ist die Lehrkräftebefragung des IQB-Ländervergleichs 2012 mit einer Stichprobe von 2.447 Lehrkräften der Sekundarstufe I an allgemeinen Schulen. Die Fragebogendaten wurden quantitativ analysiert und sowohl deskriptiv als auch mit Hilfe verschiedener statistischer Verfahren ausgewertet (Chi-Quadrat-Tests, Varianz- und Regressionsanalysen).
Im Ergebnis sind weibliche Lehrkräfte und Personen aus Ostdeutschland relativ seltener unter den Nichtteilnehmenden von Fortbildungen zu finden. Als Teilnahmebarrieren werden kollidierende berufliche Verpflichtungen, mangelnde Qualität der Fortbildungen, fehlendes Engagement, finanzielle Kosten sowie familiäre Gründe identifiziert. Fehlendes Engagement und wahrgenommener Qualitätsmangel gehen Hand in Hand und stehen mit der Nichtteilnahme an Fortbildungen in signifikantem Zusammenhang, wobei ihre Vorhersagekraft für eine Nichtteilnahme insgesamt gering ausfällt.
Einschränkend ist festzuhalten, dass die Stichprobe nicht repräsentativ ist und das Erhebungsinstrument nur bedingt geeignet erscheint, um die berufsspezifischen Teilnahmebarrieren von Lehrkräften valide abzubilden. Ungeachtet dessen rückt u. a. das ermittelte Syndrom aus fehlendem Engagement und wahrgenommenem Qualitätsmangel zentrale Fragen in den Fokus, für deren Beantwortung die Lehrkräfteperspektive zukünftig systematischer einbezogen werden sollte: Wie sieht ein attraktives Fortbildungsangebot aus, wie können sinnvolle Anreize zur Teilnahme geschaffen werden und in welcher Weise sind Entlastungsangebote angemessen und realisierbar, um eine Mehrbelastung durch Fortbildung zu kompensieren?
Nachfolgende Reflexionsfragen sind ein Angebot, die Befunde der rezensierten Studie auf das eigene Handeln als Lehrkraft oder Schulleitungsmitglied zu beziehen und zu überlegen, inwiefern sich Anregungen für die eigene Handlungspraxis ergeben. Die Befunde der rezensierten Studien sind nicht immer generalisierbar, was z. B. in einer begrenzten Stichprobe begründet ist. Aber auch in diesen Fällen können die Ergebnisse interessante Hinweise liefern, um über die eigene pädagogische und schulentwicklerische Praxis zu reflektieren.
Reflexionsfragen für Lehrkräfte:
Reflexionsfragen für Schulleitungen:
Das Autorenteam stellt einleitend fest, dass die Entwicklung professioneller Kompetenz auch für Lehrkräfte einen lebenslangen Prozess darstellt, wobei in der sog. dritten Phase der Lehrerbildung (Fussangel, Rürup & Gräsel, 2010) schulinterne und schulexterne Fortbildungen von besonderer Bedeutung sind. Die Teilnahme von Lehrkräften an dieser dritten Phase sichert die Aktualität des Fachwissens sowie Kenntnisse methodischer und pädagogischer Innovationen.
In bisherigen Studien zu diesem Thema sind nach Ansicht von Richter et al. Lehrkräfte, die nicht an Fortbildungen teilnehmen, vernachlässigt worden. Diese machten ca. 20 % der Lehrerschaft in Deutschland aus. Daraus leitet das Autorenteam die Begründung seiner Untersuchung ab: Eine Erforschung der Teilnahmebarrieren erscheine hilfreich, da Nicht-Teilnahme als bewusste Entscheidung gesehen werden kann, die im Sinne der gewünschten Fortbildungsaktivität beeinflusst werden sollte, wodurch mittel- und langfristig die Anzahl der Teilnahmen an Fortbildungen erhöht werden könnte. Die Kenntnis über objektiv feststellbare und subjektiv wahrgenommene Bildungsbarrieren könne helfen, die Motivation zur Teilnahme zu erhöhen.
Richter et al. greifen auf den Vorschlag von Reich-Classen (2010) zurück und definieren Barrieren als einerseits objektiv nachvollziehbare Nichtteilnahmegründe und andererseits als subjektiv empfundene Schranken und Hindernisse. In Vorläuferstudien aus anderen Bildungsbereichen (z. B. Cross, 1979; Johnston & Rivera, 1965; Scanlan & Darkenwald, 1984) wurden unterschiedliche Einflussfaktoren für die Teilnahme an Fortbildungen identifiziert.
Zentrale Befunde dieser Studien sind, so das Autorenteam, dass vor allem externale Faktoren (v. a. Kosten und Zeit) eine Rolle als Barriere für die Teilnahme an Fortbildungen spielen (Cross, 1979; Johnston & Rivera, 1965). In der Studie von Scanlan und Darkenwald (1984) wurden mit Hilfe einer Literaturrecherche und Interviews Items konstruiert und anschließend faktorenanalytisch anhand einer Stichprobe aus dem Gesundheitsbereich überprüft. Scanlan und Darkenwald (1984) identifizierten sechs Barrieren für die Teilnahme an Fortbildungen:
Richter et al. schlussfolgern auf der Grundlage weiterer Studien, dass diese Faktoren bei unterschiedlichen Berufsfeldern unterschiedlich gewichtet werden. Für Lehrkräfte vermutet das Autorenteam, dass berufliche Fortbildungsmaßnahmen trotz gesetzlich geregelter Verpflichtung zur regelmäßigen Fortbildungsteilnahme anders beurteilt werden als z. B. von Angestellten im Gesundheitswesen. Ursachen sieht das Autorenteam darin, dass Fortbildungen bei Lehrkräften nicht zwingend zu beruflichem Aufstieg oder finanziellem Gewinn führen und meist nur der eigenen Arbeitsleistung und alltäglichen Erfahrung zuträglich erscheinen. In der Studie von Hoffmann und Richter (2016) wurde gezeigt, dass ca. 80 % aller Lehrkräfte der gegebenen Verpflichtung nachkommen. Dieselbe Studie zeigt, dass es keine statistisch messbaren Geschlechtsunterschiede hinsichtlich des Teilnahmeverhaltens gibt. Im Vergleich unterschiedlicher Schulformen ist erkennbar, dass gymnasiale Lehrkräfte eher fachliche oder fachdidaktische Fortbildungen besuchen, während Lehrkräfte anderer Schularten pädagogischen Inhalten den Vorzug geben (z. B. Richter, Kuhl, Haag & Pant, 2013). Richter et al. resümieren, dass die Motive zur Teilnahme in diesem Zusammenhang bekannt seien, ungeklärt seien jedoch die Motive für eine fehlende Teilnahme.
In vorangegangenen Untersuchungen zu Lehrerfortbildungen (z. B. Beck & Ullrich, 1996; Daus et al., 2004; Richter et al., 2013; Richter et al., 2012) wurden bereits Teilnahmebarrieren identifiziert. Genannt werden die geringe Vereinbarkeit von beruflichen Aufgaben mit der Teilnahme, ein als unzureichend eingeschätztes Fortbildungsangebot, die Entfernung zum Veranstaltungsort oder mangelnder Schulbezug. Richter et al. merken an, dass diese Studien jedoch meist ausschließlich die äußeren Einflussfaktoren beachten und die persönliche Ebene nicht berücksichtigt wird. Die Frage, welche Lehrkräfte nicht an Fortbildungen teilnehmen, sei also bisher unzureichend beantwortet. Auch die Zusammenhänge zwischen einzelnen Barrieren seien weitestgehend unterforscht. Zentrale Forschungsfragen der vorliegenden Studie sind daher:
Für die Beantwortung der Fragestellung wertete das Autorenteam einen bereits vorhandenen Datensatz aus. Die Daten stammen aus dem IQB-Ländervergleich 2012 (Pant et al., 2013). Im Zusammenhang mit der Überprüfung der Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufe 9 an 1.326 Schulen wurden auch die Lehrkräfte schriftlich befragt. An der Untersuchung nahmen 4.328 Lehrkräfte der mathematischen und naturwissenschaftlichen Fächer teil und gaben Auskunft zu ihren demografischen Daten, ihrer beruflichen Qualifikation, ihrer Berufserfahrung und ihrer Nutzung von Fortbildungsangeboten. Da die Teilnahme nicht in allen Bundesländern verpflichtend war, gab es unterschiedliche Rücklaufquoten. Lehrkräfte der Förderschulen sowie Lehrkräfte, die keine Angaben zu Teilnahmebarrieren machten, wurden von weiteren Analysen ausgeschlossen. In der Stichprobe wurden für die Auswertung 2.447 Lehrkräfte berücksichtigt.
Grundlage der Erhebung war ein schriftlicher Fragebogen mit sechs Skalen (fehlendes Engagement, Qualitätsmangel, Familie, Kosten, persönlicher Nutzen, Arbeit; Lenski et al., 2016). In diesem sollten die Gründe angegeben werden, die die Befragten in den letzten zwölf Monaten an einer Fortbildungsteilnahme hinderten. Die Items orientierten sich an den von Scanlan und Darkenwald (1984) identifizierten Faktoren, wurden ins Deutsche übersetzt und spezifisch für Lehrkräfte umformuliert. Alle Items wurden von den Befragten auf einer vierstufigen Likert-Skala eingeschätzt (1 = gar nicht einflussreich bis 4 = sehr einflussreich). Bei der Auswertung durch eine explorative Faktorenanalyse konnte der Faktor persönlicher Nutzen nicht repliziert werden. Deshalb wurden die Faktoren fehlendes Engagement, Qualitätsmangel, Familie, Kosten, Arbeit für die Analyse bestimmt. Ausgewertet wurden fünf Skalen mit insgesamt 18 Items. Die Reliabilität der Skalen lag jeweils im akzeptablen bis guten Bereich (.63 ≤ α ≤ .89).
Zur differenzierten Untersuchung der Personen mit und ohne Fortbildungsbesuch wurden neben der demografischen Variable Geschlecht auch professionsbezogene Variablen berücksichtigt. Hierzu zählen die Anzahl der Jahre als aktive Lehrkraft, ob ein Lehramtsstudium abgeschlossen wurde, die Schulform, das Stundendeputat und ob die Beschäftigung in West- oder Ostdeutschland erfolgte.
Die Datenanalyse zur Feststellung von Unterschieden erfolgte durch Chi-Quadrat-Tests kombiniert mit einer Varianzanalyse (Forschungsfrage 1), einer deskriptiven Beschreibung (Forschungsfrage 2) sowie durch die Durchführung von Regressionen (Forschungsfrage 3). Bei den Regressionsmodellen galten die fünf Teilnahmebarrieren als unabhängige Variablen und der Teilnahmestatus als abhängige Variable.
Einfluss demografischer und professionsbezogener Merkmale: Signifikante Unterschiede für die Teilnahme bzw. Nichtteilnahme ergeben sich hinsichtlich des Geschlechts. Männliche Lehrkräfte nehmen seltener an Fortbildungen teil (χ2 = 35.17, p < .01): Die Wahrscheinlichkeit einer weiblichen Lehrkraft, nicht an einer Fortbildung teilzunehmen, ist bei den Befragten um 46 % geringer als für Lehrkräfte männlichen Geschlechts. Lehrkräfte aus westdeutschen Bundesländern nehmen seltener an Fortbildungen teil als Lehrkräfte aus ostdeutschen Bundesländern (χ2 = 68.67, p < .01). Für Lehrkräfte aus Ostdeutschland ist die Wahrscheinlichkeit, nicht teilzunehmen, um 62 % geringer.
Je mehr Berufserfahrung eine Lehrkraft hat, desto wahrscheinlicher gehört sie zu den Nichtteilnehmenden (F = 6.81, p = .01). Jedoch ist dieser Effekt gering (η² < 0.01). Keinerlei signifikante Unterschiede ergeben sich im Zusammenhang mit der Schulform, dem Vorhandensein eines Lehramtsstudiums sowie hinsichtlich des Deputats.
Gründe gegen den Besuch von Fortbildungen: Teilnahmebarrieren. Die Gründe gegen den Besuch von Fortbildungen wurden deskriptiv ausgewertet. Am bedeutendsten erscheinen die Faktoren Arbeit (M = 2.63; SD = 0.75), fehlendes Engagement (M = 2.23, SD = 2.23) und Qualitätsmangel (M = 2.31; SD = 0.81). Am geringsten fallen die Faktoren Familie (M = 1.91; SD = 0.84) und Kosten (M = 1.92; SD = 0.85) als Einflussfaktoren für eine fehlende Teilnahme an Fortbildungen ins Gewicht.
Zusammenhänge zwischen Teilnahmebarrieren und Fortbildungsaktivität: Keine systematischen Zusammenhänge ergeben sich für die Faktoren Familie, Kosten und Arbeit. Geringe, positive und statistisch signifikante Zusammenhänge zeigen sich zwischen den Faktoren fehlendes Engagement und Qualitätsmangel und dem Teilnahmestatus. Dies bedeutet, dass eine Erhöhung des Faktors fehlendes Engagement um eine Standardabweichung die Wahrscheinlichkeit zur Nichtteilnahme um 15 % erhöht. Ebenso gilt, dass eine Erhöhung des Faktors Qualitätsmangel um eine Standardabweichung die Wahrscheinlichkeit zur Nichtteilnahme um 11 % erhöht. Analoge Befunde zeigen sich bei der Betrachtung des Gesamtmodells. Auch wenn die beiden Variablen fehlendes Engagement und Qualitätsmangel zu einer Variablen zusammengefasst wurden, weisen diese einen geringen, positiven und statistisch signifikanten Zusammenhang mit der fehlenden Fortbildungsteilnahme auf (Erhöhung einer Standardabweichung um 13 %).
Insgesamt zeigen sich Effekte für die Kontrollvariablen Geschlecht, Zugehörigkeit zu West- bzw. Ostdeutschland, Berufserfahrung und Beschäftigungsumfang. Lehrkräfte, die nicht an Fortbildungen teilnehmen, sind eher männlich, aus Westdeutschland mit mehr Dienstjahren und geringerem Beschäftigungsumfang. Mit Hilfe der aufgenommenen Variablen lassen sich 7 % der Varianz aufklären (R² = .07), was nach Bortz und Döring (2006, S. 606) einer kleinen Effektstärke entspricht.
Hintergrund
Eine Einsicht in die Motive von Lehrkräften, warum diese Fortbildungen fernbleiben, ist von hoher Bedeutung für die Planung von Fortbildungsangeboten. Lehrerfortbildungen sollten alle Lehrkräfte erreichen, um die Qualität von Schule und Unterricht zu erhöhen. Das Autorenteam lenkt den Fokus auf Lehrkräfte, die nicht an Fortbildungen teilnehmen, und zeigt dadurch eine neue Perspektive auf das Fortbildungsverhalten.
Das Autorenteam berücksichtigt im Theorieteil sowohl ältere Studien aus anderen Bildungssektoren als auch neuere Studien zu Lehrerfortbildungen.
Design
Das Autorenteam nutzte den IQB-Ländervergleich und damit einen umfassenden Datensatz, der länder- und schulformübergreifend erhoben wurde. Die Stichprobenzusammensetzung ist allerdings mangels Teilnahmeverpflichtung in allen Bundesländern nicht repräsentativ. Insofern ist auch fraglich, ob ein Vergleich zwischen west- und ostdeutschen Bundesländern zulässig ist. Außerdem wird die Generalisierbarkeit der Ergebnisse eingeschränkt, weil die Stichprobe nur aus Lehrkräften, die Mathematik und/oder Naturwissenschaften unterrichten, besteht.
Das Autorenteam weist mit Recht auf die Besonderheiten von Lehrerfortbildungen im Vergleich zu Fortbildungen in anderen Bildungssektoren hin. Deshalb ist es überraschend, dass im IQB-Ländervergleich ein Befragungsinstrument aus den 80ern, das zuvor lediglich für Befragungen zu Fortbildungen im medizinischen Bereich eingesetzt wurde, verwendet wird. Positiv anzumerken ist, dass das Autorenteam aus diesem Grund die Validität und Reliabilität des Fragebogens überprüft. Durch die vom Autorenteam durchgeführte Faktorenanalyse können alle Skalen bis auf eine auch für die Lehrkräftebefragung identifiziert werden.
Die Daten aus dem IQB-Ländervergleich 2012 werden statistisch detailliert ausgewertet und dargelegt. Dabei werden die Schlussfolgerungen transparent und neutral formuliert. Das Autorenteam verwendet unterschiedliche, den jeweiligen Fragestellungen angemessene Methoden zur Auswertung des Datensatzes. Dass die aufgenommenen Variablen in der Regressionsanalyse nur einen kleinen Teil der Varianz an der Nichtteilnahme aufklären (7 %), spricht dafür, dass nicht alle relevanten Einflussfaktoren berücksichtigt wurden. Möglicherweise spielt z. B. der wahrgenommene persönliche Nutzen eine Rolle. Diese Skala wurde nach der Faktorenanalyse aussortiert, weil keine sinnvolle Skala gebildet werden konnte. Zudem fehlten im für den IQB-Ländervergleich eingesetzten Fragebogen weitere Einflussfaktoren, die vom Autorenteam im Theorieteil des Textes aus weiteren Studien als Hindernisse zur Teilnahme an Lehrerfortbildungen zitiert werden (z. B. die Entfernung zum Veranstaltungsort).
Schwierig ist der rein quantitative Zugang. Der Begriff der Barriere wird in der Studie als nicht objektives Hindernis benannt und zu Recht als subjektive Wahrnehmung relativiert. Insofern ist verwunderlich, dass nicht mit zusätzlichen offenen Fragen gearbeitet wurde. Mit diesem qualitativen Zugang hätten unter Umständen weitere Faktoren identifiziert werden können. Die Güte des Fortbildungsangebotes müsste parallel zu den empfundenen Mängeln bestimmt werden, um die Aussagekraft der Zahlenwerte einzuordnen. Ansonsten hätten Einwände jeglicher Art absolute Gültigkeit, obschon tatsächlich die angegebenen Begründungen und Faktoren vielleicht doch Rationalisierungen persönlicher Haltungen sind, dass also eventuell nicht der äußere Faktor von Bedeutung ist, sondern eine individuelle Haltung der Lehrkraft.
Die Items des verwendeten Befragungsinstrumentes sind nicht nachvollziehbar, da diese nur beispielhaft benannt werden. Der Faktor fehlendes Engagement wird mit dem Item-Beispiel Wenn ich mich in den letzten 12 Monaten dagegen entschieden habe, an Fortbildungen teilzunehmen, dann lag das daran, dass ... ich manchmal von Vorträgen und Lehrveranstaltungen genug habe beschrieben. Für eine Urteilsbildung wäre die Kenntnis aller Items interessant, um sich ein Bild der Relevanz und Vollständigkeit der möglichen Faktoren zu machen. Zudem bleibt immer auch der Unsicherheitsfaktor, dass die Befragten sozial erwünscht antworten. Dies gilt insbesondere für diese Studie, da eine fehlende Teilnahmebereitschaft die Befragten aus deren Sicht unter Umständen in ein schlechtes Licht rückte.
Ergebnisse
Die benannten Forschungsfragen werden gezielt beantwortet, jedoch eröffnet sich nun eine relevante Folgeaufgabe: Wie kann man sich die Ergebnisse im oben beschriebenen Sinne der Qualitätssicherung nutzbar machen? Welche Handlungsoptionen ergeben sich aus der Erkenntnis, dass eher männliche, westdeutsche, ältere Lehrkräfte mit geringem Deputat eine zu motivierende Gruppe darstellen? Welche Möglichkeiten hat man, auf fehlendes Engagement einzuwirken, das insbesondere in Kombination mit Qualitätsmängeln auch berechtigt sein könnte? Das Autorenteam vermutet hinter diesem Sachverhalt ein Syndrom. Hier wäre zu klären, wie die reklamierten Qualitätsmängel in Fortbildungen behoben werden könnten oder wie die Wahrnehmung der Nichtteilnehmenden positiver und gewinnbringender werden könnte.
Ebenso zeigen sich Widersprüche bei den erhobenen Auskünften. Zum einen wurde eine hohe Arbeitsbelastung als Argument zur Nichtteilnahme erfasst, obschon eher die Lehrkräfte mit höherem Deputat an Fortbildungen teilnehmen. Die hohe Arbeitsbelastung wird also von Lehrkräften mit (statistisch) geringerem Deputat angegeben, obwohl Lehrkräfte mit sogar höherem Durchschnittsdeputat diesen Zusammenhang widerlegen. Wiederum wäre ein subjektives Empfinden und Reagieren der wirksame Faktor und nicht der äußere Umstand.
Durch die Studie ergeben sich wichtige Anregungen für das Bildungssystem. Wäre das System Schule so zu beeinflussen, dass Anreize zur Teilnahme geschaffen werden könnten? Eine Erhebung der Fortbildungsbedarfe könnte das Angebot motivierender und passender gestalten. In welcher Weise sind Entlastungsangebote für den alltäglichen Unterricht angemessen und realisierbar, um eine Mehrbelastung zu kompensieren? Das Autorenteam fordert in diesem Zusammenhang zu Recht, dass die vielfältigen Bedürfnisse der Lehrkräfte wahr- und ernstgenommen werden sollten.
Im Zuge der Auswertung war der Faktor persönlicher Nutzen nicht replizierbar. Das bedeutet, dass keine Skala dazu erstellt werden konnte, und nicht, dass dieser Faktor nicht existiert. Es ist also auf jeden Fall möglich, dass der nicht wahrgenommene persönliche Nutzen ein wichtiger Einflussfaktor für das Fernbleiben von Fortbildungen ist.
Im Arbeitsalltag von Lehrkräften ist die Thematik des Unterrichtsausfalls omnipräsent. Subtiler Druck von diversen Seiten wird empfunden und von manchen Schulleitungen z. T. offen ausgeübt. Das Autorenteam weist der Schulleitung eine entscheidende Rolle für die Förderung der Fortbildungsteilnahme zu. Ob eine Verlagerung der Fortbildungsangebote in die unterrichtsfreie Zeit hier eine realisierbare Lösung wäre und zur Motivation der Lehrkräfte beitragen würde, ist diskussionswürdig. Eine Entwicklung des Gesamtsystems Schule könnte nur durch den Einsatz enormer finanzieller und organisatorischer Ressourcen mit deutlichen Reibungsverlusten bei der Umorganisation erreicht werden und müsste der Lehrerschaft intensiv vermittelt werden. Will man Verbesserungen erwirken und möchte man eine vermehrte Teilnahme, mit erhöhter Motivation, ohne Unmut bei Kollegen und Elternschaft, erreichen, scheint dies nur in größerem Zusammenhang realisierbar zu sein.
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