Fragestellungen der Studie:

  • Wie werden Unterricht und außerunterrichtliches Hausaufgabenangebot in der Praxis von Ganztagsschulen verzahnt?

Rezension zur Studie

Gaiser, J. M., Kielblock, S. & Stecher, L. (2016). Hausaufgabenangebote an Ganztagsschulen. Fallstudien zur Verzahnung von Unterricht und außerunterrichtlichen Angeboten. Zeitschrift für Pädagogik, 62(6), 797–818.FIS Bildung

Die Verzahnung von Unterricht und außerunterrichtlichen Angeboten ist für Ganztagsschulen ein zentrales Handlungsfeld – doch wie gestalten verschiedene Schulen in der Praxis z. B. das Verhältnis von Unterricht und außerunterrichtlichem Hausaufgabenangebot? Was ist jeweils der Zweck des Hausaufgabenangebots und inwiefern unterscheidet sich die pädagogische Flankierung?

Zur Beantwortung dieser Fragen analysierten Gaiser et al. kurze Interviews mit Schülerinnen und Schülern sowie mit Lehrkräften und weiterem pädagogischen Personal. Am Beispiel von drei Schulen illustrieren sie kontrastiv unterschiedliche Formen der Verzahnung und der pädagogischen Unterstützung.

  1. Fallstudie: Im Primarzweig einer kooperativen Gesamtschule determinieren die formale Logik und inhaltliche Progression des Unterrichts das Hausaufgabenangebot strukturrational, das pädagogische Personal sorgt im Wesentlichen für eine ruhige Arbeitsatmosphäre (Modus des Erledigens).
  2. Fallstudie: An einer Gesamtschule wird im Rahmen eines wochenplanbasierten Hausaufgabenangebots z. B. durch Einzelgespräche individuell gefördert, um unterrichtliche Leistungen und Noten zu optimieren. Der Unterricht dominiert das Hausaufgabenangebot zielrational (Modus der Effektivität).
  3. Fallstudie: An einem Gymnasium knüpft das Hausaufgabenangebot u. a. durch Unterrichtshospitationen der Aufsichtsperson didaktisch und methodisch an den Fachunterricht an, um das Verstehen curricularer Inhalte z. B. mithilfe von Schülerkooperation zu fördern. Gestaltungsrational wird über den Unterricht hinausgegangen, um Verstehensprozesse zu vertiefen und Lerninhalte zu erweitern (Modus der Erweiterung).

Die Befunde scheinen plausibel, wenngleich die als Grundlagenbeitrag bezeichnete Pilotstudie lediglich drei Praxisbeispiele umfasst und die Beschreibung des Forschungsdesigns lückenhaft ist, sodass eine Einschätzung der Befunde schwerfällt. Dessen ungeachtet sind die Ergebnisse geeignet, die Verzahnung von Unterricht und außerunterrichtlichem Angebot sowie den an der eigenen Schule praktizierten Unterstützungsmodus zu vergleichen und Unterrichts- und Organisationsentwicklungsprozesse zu reflektieren.

Nachfolgende Reflexionsfragen sind ein Angebot, die Befunde der rezensierten Studie auf das eigene Handeln als Lehrkraft oder Schulleitungsmitglied zu beziehen und zu überlegen, inwiefern sich Anregungen für die eigene Handlungspraxis ergeben. Die Befunde der rezensierten Studien sind nicht immer generalisierbar, was z. B. in einer begrenzten Stichprobe begründet ist. Aber auch in diesen Fällen können die Ergebnisse interessante Hinweise liefern, um über die eigene pädagogische und schulentwicklerische Praxis zu reflektieren.

Reflexionsfragen für Lehrkräfte:

  • Erweitern meine Hausaufgaben bzw. Lernzeitaufgaben die Unterrichtslogik durch besondere Formen der Förderung, Forderung und Unterstützung?
  • Wie fließen Informationen zur Bearbeitung der Hausaufgaben bzw. Lernzeitaufgaben zuverlässig in meinen Unterricht zurück?
  • Biete ich Aufgaben an, die alle Anforderungsbereiche umfassen und nicht vorrangig im reproduktiven Bereich verhaftet bleiben?

Reflexionsfragen für Schulleitungen:

  • Welchem Fallbeispiel kommt die Praxis der Verzahnung und Unterstützung in meiner Schule nahe?
  • Welche Elemente aus welchem Fallbeispiel könnten für die Organisations- und Unterrichtsentwicklung meiner Schule interessant sein?
  • Wie stellt mein Kollegium sicher, dass relevante Informationen zwischen Unterricht, außerunterrichtlichem Angebot und den Erziehungsberechtigten transparent, aktuell und verlässlich laufen?

Eine zentrale Frage an die Umsetzung des Ganztagsschulbetriebs berührt die Verzahnung von Fachunterricht und dem außerunterrichtlichen Angebot. In besonderer Weise rücken diesbezüglich Aufgaben in den Blick, die außerhalb des Fachunterrichts in der Ganztagsschule unter Einbindung von Lehrkräften oder weiterem pädagogisch tätigem Personal von den Schülerinnen und Schülern bearbeitet werden. In ihrem Artikel operiert das Autorentrio mit dem zentralen Begriff „Hausaufgabenangebote“. Dieser Begriff erweist sich für Ganztagsschulen in NRW mit Blick auf den häufig als „Hausaufgabenerlass“ benannten BASS-Erlass 12-63 Nr. 3 (4.2) als problematisch. Um den rezensierten Artikel rechtskonform für Schul- und Unterrichtsentwicklungsprozesse in NRW deuten zu können, sei dieser Erlass kurz in Erinnerung gerufen:

„An Ganztagsschulen (§ 9 Absätze 1 und 3 SchulG) treten in der Sekundarstufe I Lernzeiten an die Stelle von Hausaufgaben. Diese Lernzeiten sind so in das Gesamtkonzept des Ganztags zu integrieren, dass es in der Regel keine schriftlichen Aufgaben mehr gibt, die zu Hause erledigt werden müssen.“ (Ministerium für Schule und Weiterbildung NRW RdErl. 12-63 Nr. 3, 2015)

Indem das Autorentrio nach der Verzahnung zwischen Fachunterricht und außerunterrichtlichen Angeboten bzw. Hausaufgabenangeboten an Ganztagsschulen fragt, stellt es sich einem Desiderat. Nur selten, so führen Gaiser, Kielblock und Stecher aus, hätten zuvor Untersuchungen Zusammenhänge dieser Verzahnungen und den damit einhergehenden pädagogischen Umsetzungen beleuchtet. Vor dem Hintergrund individueller Förderung scheint sich allerdings eine enge Beziehung zwischen Fachunterricht und außerunterrichtlichen Angeboten als positiv zu erweisen (vgl. Vollstädt, 2009). Ihrer Studie legt das Autorenteam eine enge Hausaufgabendefinition zugrunde, die von einer deutlichen Nähe zum Unterricht ausgeht:

Sie verstehen „[…] unter Hausaufgaben alle außerunterrichtlichen Angebote an Ganztagsschulen, welche die Schüler/-innen bei der Erledigung fachbezogener Lern- und Vertiefungsaufgaben unterstützen“ (Gaiser et al. 2016, 799).

Diese Nähe ist empirisch berechtigt, da in der Praxis auf der inhaltlichen, methodischen, medialen und organisatorischen Ebene Hausaufgabenangebote die Realität von Unterricht nahezu vollständig reproduzieren. Darin liegt auch die Ursache, dass Schülerinnen und Schüler die Hausaufgabenangebote ähnlich reglementiert empfinden wie den Unterricht. Inwiefern diese von nicht wenigen Schülerinnen und Schülern als eintönig beschriebene Reproduktion von Unterricht im Außerunterrichtlichen (was letztlich eine karge Verzahnung auf Basis des Unterrichtlichen darstellt) die Wirksamkeit von Hausaufgaben beeinflusst, beantworten Gaiser, Kielblock und Stecher nicht. Sie beschränken sich auf die Präsentation von drei kontrastiven Praxisbeispielen der Verzahnung von Hausaufgabenangeboten und Fachunterricht. Hierbei liegt ein Fokus auch auf den sich aus der Art der Verzahnung ergebenden pädagogischen Gestaltungskonsequenzen.

Für ihre Studie greifen Gaiser, Kielblock und Stecher auf Daten aus der Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen (StEG-Q) zurück. Die verwendeten Daten entstammen aus Interviews mit Schülerinnen und Schülern, die an außerunterrichtlichen Angeboten teilnahmen, und mit Erwachsenen, die in die Durchführung dieser außerunterrichtlichen Angebote eingebunden waren. Um einen qualitativen Längsschnitt abbilden zu können, wurden die befragten Personen im Untersuchungszeitraum von zwei Jahren bis zu drei Mal interviewt. Einzug in die hier rezensierte Studie erhielten jene drei etablierten Hausaufgabenangebote, zu denen einerseits möglichst reichhaltige Informationen aus den Interviews vorlagen, und andererseits mussten sich die Beispiele zueinander in einem möglichst großen inhaltlichen, organisatorischen etc. Kontrast befinden.

Die Interviews wurden als alltagsnahe Gespräche angelegt, sodass die Richtung des Interviews durch die interviewte Person vorgegeben wurde. Kam diese im Verlauf des Interviews einem zuvor festgelegten Themenaspekt nahe, fokussierte die interviewende Person durch Nachfragen das Interview für eine Weile auf dieses Thema. Die durchschnittliche Dauer eines Interviews lag bei Schülerinnen und Schülern zwischen 10 und 15 Minuten, bei Erwachsenen zwischen 15 und 20 Minuten.

Für die relevanten Interviewpassagen wurden Codings vorgenommen (vgl. Saldaña 2013), wobei den Codierungsprozess ein Hypothesenbildungsprozess über die Zusammenhänge zwischen den jeweiligen Codes flankierte. Aussagen zu einzelnen Hausaufgabenangeboten wurden zu Fallstudien gebündelt. In einem letzten Schritt erfolgte im Sinn der multiple-case-studies die fallübergreifende Analyse (vgl. Yin 2009). Nach Abschluss dieses Prozesses lagen die Analysen von drei qualitativen Fallstudien zu Hausaufgabenangeboten in einem Primarzweig einer kooperativen Gesamtschule, im Verbundzweig einer kooperativen Gesamtschule und in einem Gymnasium vor.

Die folgend vorgestellten drei Fallstudien veranschaulichen jeweils eine Umsetzung der Verzahnung von Unterrichtlichem und Außerunterrichtlichem. Sie verbindet, dass die Schülerinnen und Schüler im Hausaufgabenangebot jene Aufgaben bearbeiten, die zuvor im Fachunterricht erteilt wurden. Unterschiede bestehen jedoch in der Art und Weise der Bearbeitung dieser Aufgaben. Diesen Aspekt erfasst das Autorenteam mit dem Begriff Unterstützungsmodus. Die unterschiedlichen Unterstützungsmodi führen zu Differenzen hinsichtlich der Aktivierungsimpulse bezüglich der Schülerinnen und Schüler und zu Differenzen im Verhältnis zwischen Unterricht und außerunterrichtlichem Hausaufgabenangebot. Nacheinander verläuft nun die Präsentation und Interpretation der drei Fallstudien.

Fallstudie 1 – Primarzweig einer kooperativen Gesamtschule
Die im Ganztag angemeldeten Schülerinnen und Schüler erledigen in einem Hort, mit dem der Gesamtzweig kooperiert, täglich zwischen 14:15 Uhr und 15:00 Uhr die vormittags erhaltenen Hausaufgaben. Hierzu hält der Hort einen Hausaufgabenraum vor, in dem jeweils ein Mitglied aus dem Hortpersonal die Ganztagskinder betreut. Ein stabiler Kommunikationsfluss besteht zwischen Hort und dem Primarzweig nicht. Weder hat das Hortpersonal einen Einfluss auf Qualität und Quantität der erteilten Hausaufgaben, noch ist es über den Erwartungshorizont zu den erteilten Hausaufgaben informiert. Ein Dilemma besteht für das Hortpersonal darin, den schulisch-formalen Bildungsprozeduren des Vormittags ein eher informelles Pendant in der Hausaufgabenbetreuung gegenüberstellen zu wollen. Da allerdings die Schulleitung der Gesamtschule die Kooperation mit dem Hort verantwortet und ein Kompetenzgefälle zwischen Schule und Hort im methodisch-didaktischen Bereich besteht, hat der Hort den Ansprüchen der schulisch-formalen Logik zu folgen. Aufgrund dieser Rangordnung können die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Hortes ihrem non-formellen Bildungsanspruch kaum nachkommen. Ihr vorgegebener Auftrag ist die Etablierung einer ruhigen Arbeitsatmosphäre. Hierzu setzt das Hortpersonal auf Separation (festgelegte Sitzordnung an Einzeltischen) und Ermahnung. Ist die Hausaufgabenmenge zu gering, müssen die Ganztagskinder die Zeit im Hort wortwörtlich absitzen, da weitere Beschäftigungsmöglichkeiten nicht bestehen. Ist der Hausaufgabenumfang zu groß, haben die Schülerinnen und Schüler die Bearbeitung des Hausaufgabenpensums zu Hause fortzusetzen.

Ein Unterstützungsmodus im strengen Wortsinn liegt in der Fallstudie 1 nicht vor: Weder helfen die Schülerinnen und Schüler einander, noch fungiert das pädagogische Personal als Lernbegleiter. Während erstgenannte Personengruppe zur stillen Einzelarbeit angehalten ist, sorgt die andere Personengruppe dafür, dass eine ruhige Arbeitsatmosphäre etabliert wird und bestehen bleibt. Die Konzeption des Hausaufgabenangebots schließt eine besondere Förderung nach vorzeitigem Abschluss des erteilten Hausaufgabenpensums aus. Somit bleiben die besonderen Potentiale einer individuellen Förderung im Ganztag ungenutzt. Das Autorentrio konstatiert einen Unterstützungsmodus des Erledigens (vgl. Gaiser et al. 2016: 806).

Das Verhältnis zwischen Unterricht und außerunterrichtlichem Hausaufgabenangebot ist strukturrational (vgl. Gaiser et al. 2016: 808). Damit beschreibt das Autorenteam, dass die Schule an das Hortpersonal den ausschließlich schulisch orientierten Auftrag adressiert, in der Hausaufgabenzeit die Bearbeitung der Aufgaben für die Schule durch die Schülerinnen und Schüler sicherzustellen. Das Hortpersonal betrachtet die schulische Vereinnahmung der Hortzeit durchaus kritisch. Es entwickelt aber kein eigenes pädagogisches Konzept, welches beispielsweise stärker auf die Potenziale individueller Förderung fokussiert oder den Ausbau der Methodenkompetenz anstrebt.

Fallstudie 2 – Verbundzweig einer kooperativen Gesamtschule
In den Vormittag integriert finden mehrmals wöchentlich Hausaufgabenangebote in einem mit besonderen Lernmaterialien ausgestatteten Raum statt. Die stets klassenübergreifenden Lerngruppen von 3 bis 27 Schülerinnen und Schülern arbeiten nach individualisierten Wochen- oder Prüfungsvorbereitungsplänen und werden von weiterem pädagogisch tätigem Personal betreut. Die individualisierte Lernprogression wird durch Einzelgespräche zwischen den Schülerinnen und Schülern mit dem pädagogischen Personal reflektiert, organisiert und in einem Lerntagebuch transparent dokumentiert. Die benoteten Leistungen im Unterricht beruhen auch auf den individualisierten Lernhandlungen im Hausaufgabenangebot. Damit liefern sie mittelbar eine Rückmeldung zum Erfolg des Arbeitens im Hausaufgabenangebot und sind häufig Gegenstand von Gesprächen zwischen den Schülerinnen bzw. Schülern und dem pädagogischen Personal. Die Hausaufgabenbetreuung selbst ist ein notenfreier Raum, den die Schülerinnen und Schüler besuchen, um ihre Schulleistungen zu verbessern. Die Abwesenheit von Noten bei gleichzeitig inhaltlicher Freiheit führt zu einer vormittäglichen Lerngelegenheit. Sie wird von Schülerinnen und Schülern entspannter wahrgenommen als der Regelunterricht. Das betreuende pädagogische Personal vermisst jedoch zuweilen das Fehlen eines Notenhebels, um in herausfordernden Situationen Schülerinnen und Schüler leichter zu steuern.

Das wochenplanbasierte Hausaufgabenangebot bezweckt eine positive Leistungsentwicklung der Schülerinnen und Schüler, was letztlich zu besseren Noten im Unterricht führen soll. Das Autorentrio bezeichnet dies als Unterstützungsmodus der Effektivität (vgl. Gaiser et al. 2016: 806). Die Förderung zielt auf die individuelle Leistungssteigerung der Schülerinnen und Schüler ab. Die Schülerinnen und Schüler bestimmen ihr Lerntempo und dürfen Kooperationen anstreben – sofern es sich mit der angestrebten Leistungssteigerung verträgt.

Das Verhältnis zwischen Unterricht und außerunterrichtlichem Hausaufgabenangebot beschreiben Gaiser, Kielblock und Stecher als diffus-curricular bzw. zielrational (Gaiser et al. 2016: 806, 808). Damit ist gemeint, dass die im Wochenplan aufgelisteten Aufgaben in einem schulleistungsbezogenen Zugriff erledigt werden sollen und nicht wie die Hausaufgaben in Fallstudie 1 schlicht abzuarbeiten sind. Eine Auseinandersetzung mit Aufgaben, die über den curricularen Rahmen hinausragen, ist in dem vorliegenden Unterstützungsangebot nicht vorgesehen. Das Ziel besteht in der Verbesserung der unterrichtlichen Leistungen.

Fallstudie 3 – Gymnasium
In der mit Büchern, Lernmaterialien und PCs ausgestatteten Mediathek findet täglich von der sechsten bis zur achten Stunde ein jahrgangsübergreifendes freiwilliges Hausaufgabenangebot statt. Die Gruppengröße variiert stark und wird von Frau E., einem Mitglied des pädagogisch tätigen Personals betreut. Die Verzahnung zwischen Regelunterricht und Hausaufgabenangebot ist eng, da Frau E. vormittags im Unterricht hospitiert, sich eigeninitiativ mit Lehrkräften austauscht, im Bedarfsfall proaktiv deren Rat sucht und Elterngespräche führt. Die so gewonnenen Informationen münden in eine Ausgestaltung des Hausaufgabenangebots, das inhaltlich, methodisch und didaktisch an den Fachunterricht andockt. Zugleich gestaltet Frau E. Ihr außerunterrichtliches Angebot bewusst als Gegenentwurf zum Regelunterricht: So dürfen die Schülerinnen und Schüler an Gruppentischen kooperierend arbeiten, denn ein wesentliches Ziel ist das gegenseitige Unterstützen. Insbesondere die gemeinsame Arbeit an den Aufgaben motiviert Schülerinnen und Schüler, das freiwillige Hausaufgabenangebot gegenüber der Arbeit zu Hause vorzuziehen. Ferner nehmen sie Frau E. als kompetente Unterstützung wahr, die bei Schwierigkeiten erklärende Unterstützung anbietet. In ihrem Handeln gehen die Schülerinnen und Schüler individuell und situativ vor.

Für Fallstudie 3 identifiziert das Autorenteam den Unterstützungsmodus der Erweiterung. Die Stärke der Unterstützung beruht einerseits auf dem Ansatz, durch Kooperation in der Gruppe die im Unterricht initiierten Verstehens- und Vertiefungsprozesse fortzuführen, wobei die Ränder des Curriculums keine Grenzen darstellen. Andererseits bewirken die Austauschprozesse zwischen Frau E., den Lehrkräften und den Eltern, dass zwischen Unterricht und außerunterrichtlichem Angebot wichtige Informationen fließen können, um die Potenziale des Außerunterrichtlichen sinnstiftender zu nutzen.

Bezüglich des Verhältnisses zwischen Unterricht und außerunterrichtlichem Hausaufgabenangebot stellen Gaiser, Kielblock und Stecher fest, dass Frau E. das außerunterrichtliche Angebot bewusst von den unterrichtlichen Gegebenheiten abhebt. Im Zentrum der Konzeption steht die Aktivierung der Schülerinnen und Schüler beim Verstehen curricularer Inhalte. Das Autorenteam konstatiert einen den Fachunterricht erweiternden Gestaltungsrahmen (vgl. Gaiser et al. 2016: 806).

Hintergrund
Mit ihrer Untersuchung zur Verzahnung von Unterricht und außerunterrichtlichem Angebot wendet sich das Autorentrio einer beklagenswerten Forschungslücke zu. Denn wenn beide Dimensionen von Ganztagsschule miteinander konzeptionell verzahnt sind, kann das Mehr an Zeit besser in den Dienst eines vielfältigen Bildungsauftrags gestellt werden als es gegenwärtig häufig der Fall ist. Im Rahmen ihrer Darstellung verweist das Autorenteam auf die Kürze des Beitrages, die es nicht erlaube, Aspekte zur Wirksamkeit von Hausaufgaben respektive Lernzeiten in den Blick zu nehmen (Gaiser et al. 2016: 799). Damit bleibt allerdings ein elementarer Aspekt ausgeblendet, wenn es um derartige Aufgaben geht. Dies fällt insbesondere bei der zweiten Fallstudie ins Gewicht, für die das Autorentrio einen Modus der Effektivität herausarbeitet, der auch in einer qualitativen Perspektive Fragen zur Wirksamkeit mit sich bringt.

Im zweiten Abschnitt ihres Beitrags skizziert das Autorenteam – unter Rückgriff auf zum Publikationszeitpunkt nur begrenzt aktuelle Forschungsergebnisse – den Forschungsstand. Hierbei verweist es unter anderem auf die Notwendigkeit, die gegenwärtig weithin etablierte hauptsächlich reglementierte und reproduktive Aufgabenpraxis durch offenere Formen zu ersetzen, um besser individuell fördern und fordern zu können. Eine Anbindung der Fallstudien-Befunde an den zuvor rekapitulierten Forschungsbefund erfolgt später nur marginal. Dies bewirkt, dass die Behandlung der Fallstudien selten die deskriptive Ebene verlässt.

Design
Wesentliche Details des Forschungsdesigns bleiben auch nach gründlicher Lektüre unklar. Nachfolgend eine Auswahl ungeklärter Fragen, die auch bei qualitativen Untersuchungen einer Beantwortung bedürfen:

  • Wie viele Schülerinnen und Schüler, wie viele Lehrkräfte und Personen des pädagogisch tätigen Personals wurden innerhalb der einzelnen Fallstudien interviewt?
  • Wie viele Personen mit welcher Qualifikation führten die Interviews durch und welche Vorkehrungen wurden getroffen, um jenseits der Zeitvorgaben und der Themenliste eine möglichst hohe Vergleichbarkeit zwischen den als alltagsgesprächsnah angelegten Interviews zu gewährleisten?
  • Welche Themen umfasst die Themenliste, welche allen Interviews zugrunde lag?
  • Welche Hypothesen formulierte das Forscherteam während des Codierungsprozesses über die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Codes auf dem Weg zur Erzeugung der Fallstudien?
  • Nach welchen Kriterien wurden unter allen Daten die ausgewählt, welche letztlich zu den drei Fallstudien führten?
  • ...

Selbst mit großem Wohlwollen ist ein ernsthafter Nachvollzug des der Studie zugrundeliegenden Designs unmöglich.

Ergebnisse
Das Autorenteam versteht den hier rezensierten Beitrag als „Grundlagenbeitrag“ im Bereich der Verzahnung von Unterricht und außerunterrichtlichem Angebot (Gaiser et al. 2016: 808). Die Bezeichnung „Pilotstudie“ erfasst den Beitrag in seiner Aussagekraft treffender. Denn – wie das Autorenteam selbstkritisch anmerkt –  die drei präsentierten Unterstützungsmodi stellen einen Ausschnitt aus dem breiten Spektrum diverser Unterstützungsmodi innerhalb der Ganztagsangebote dar. Dies gilt gleichermaßen für den Variantenreichtum an Verzahnungen zwischen Unterricht und außerunterrichtlichem Angebot, dem mit drei Fallbeispielen kaum Rechnung getragen werden kann. Ebenfalls selbstkritisch weist das Autorenteam darauf hin, dass „[...] das Einbeziehen von teilnehmenden Beobachtungen in den Angeboten (zusätzlich zu den Interviews) die Tragweite der Analysen hätte stärken können“ (Gaiser et al. 2016: 808).

Der oben vorgetragene Kritikpunkt zum nur randständig berücksichtigten Aspekt der Wirksamkeit muss an dieser Stelle erneuert werden. Bei der Präsentation der drei Unterstützungsmodi ist bereits auf der Ebene der genutzten Adjektive und Nomen eine deutliche Präferenz von Gaiser, Kielblock und Stecher für die dritte Fallstudie unverkennbar. Dennoch sind die vorgelegten Daten zu vage, um fundierte Aussagen zur Wirksamkeit zu treffen, die die artikulierte Sympathie des Autorentrios rechtfertigen. Worauf das Autorenteam allerdings zurecht hinweist, „[…] ist, dass die Schüler/-innen im Modus der Effektivität und besonders im Modus der Erweiterung zu eigenständigem Lernen angeregt und dass vertiefte Lernprozesse initiiert werden“ (Gaiser et al. 2016: 808).

Trotz der vorgetragenen Kritikpunkte können die Befunde aus den drei Fallstudien nützliche Schulentwicklungsprozesse initiieren oder flankieren. Die Befunde aus den drei Fallstudien eignen sich zur Reflexion der schuleigenen Verzahnung von Unterricht und außerunterrichtlichem Angebot. Außerdem helfen sie, den an der eigenen Schule etablierten Unterstützungsmodus genauer in den Blick zu nehmen. Beide Analyseprozesse mögen Anlass für weitere Reflexionen hinsichtlich der Unterrichts- und Organisationsentwicklung bei der Gestaltung einer Ganztagsschule bieten.

Diese Rezension wurde erstellt von:
Dr. Holger Braune, Schulleiter an der Freien Christlichen Gesamtschule Düsseldorf

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