Fragestellungen der Studie:

  • Welche Formen elterlicher Hausaufgabenhilfe stehen in Zusammenhang mit den Leistungen in Deutsch?

Rezension zur Studie

Moroni, S., Dumont, H. & Trautwein, U. (2016). Typen elterlicher Hausaufgabenhilfe und ihr Zusammenhang mit der familialen Sozialisation. Zeitschrift für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie, 48(3), 111–128.FIS Bildung

Moroni et al. ermitteln anhand der Art und Weise, wie Eltern ihren Kindern bei den Hausaufgaben helfen, verschiedene Typen elterlicher Hausaufgabenhilfe. Weiterhin untersuchen sie, welche Zusammenhänge zwischen den Typen und familialen Bedingungen bestehen und ob sich die durchschnittlichen Lern- und Leistungsergebnisse von Schülerinnen und Schülern im Fach Deutsch durch den Typ der elterlichen Hausaufgabenhilfe vorhersagen lassen.

Für die Beantwortung der Forschungsfragen wurden Fragebogendaten einer umfangreichen Stichprobe von Haupt-, Real- und Mittelschülerinnen und -schülern der 5. bis 8. Jahrgangsstufe und ihrer Eltern erhoben. Anhand von latenten Profilanalysen wurden Typen ermittelt und diese u. a. durch Berechnung multipler Regressionen mit längsschnittlich erhobenen Deutschleistungen in Beziehung gesetzt.

Es werden drei Typen elterlicher Hausaufgabenhilfe identifiziert: Der ‚adäquate Typ‘, dem 44 % der Fälle zuzuordnen sind, zeichnet sich durch ein hohes Maß an emotionaler Anteilnahme und Unterstützung (1) sowie Strukturgebung (2) und daneben durch ein geringes Maß an Einmischung und Kontrolle (3) aus. Bezüglich familialer Bedingungen weist dieser Typ die höchste Ausprägung an Eltern-Kind-Kommunikation und Strukturierung des Alltags auf bei gleichzeitig wenig Streit mit den Kindern über Schulleistungen. Passend dazu erzielen Kinder aus Typ 1-Familien durchschnittlich die besten Lern- und Leistungsergebnisse. Der ‚durchschnittliche Typ‘ (Anteil 47 %) weist für die drei Dimensionen elterlicher Hausaufgabenhilfe mittlere Werte auf und unterscheidet sich vom ‚unbeteiligten Typ‘ (Anteil 9 %) neben dessen geringeren Werten in diesen Dimensionen durch etwas mehr Eltern-Kind-Kommunikation.

Die Studie ergänzt bereits vorhandene Untersuchungen zu häuslichen Lernkontexten. Aufgrund der nicht repräsentativen Stichprobe und der Beschränkung auf das Unterrichtsfach Deutsch haben die Ergebnisse eine eingeschränkte Aussagekraft.

Mit der Einschulung sehen sich viele Eltern in der Verantwortung, ihren Kindern bei schulischen Belangen zur Seite zu stehen. Bei der Hausaufgabenpraxis beeinflussen elterliche Handlungsweisen die schulische Entwicklung jedoch nicht nur positiv. Verschiedene Studien zur elterlichen Hausaufgabenpraxis erbrachten, dass emotionale Anteilnahme und Unterstützung sowie Strukturgebung einen positiven Einfluss auf die schulische Leistung des Kindes haben. Beide Dimensionen wirken Autonomie unterstützend. Einmischung und Kontrolle hingegen waren in Untersuchungen mit schlechteren schulischen Entwicklungen verknüpft. Üblicherweise scheint die Koexistenz von sinnvollen und dysfunktionellen Strategien bei der elterlichen Hausaufgabenhilfe die Regel zu sein. Einleitend wird darauf verwiesen, dass unter Hausaufgaben ausschließlich die im Elternhaus zu erledigenden Arbeiten verstanden werden sollen.

Während der Fokus in bisherigen Studien auf einzelnen Dimensionen lag, wird im Beitrag von Moroni et al. das Zusammenspiel mehrerer Dimensionen in den Blick genommen, wobei die Erfassung der Qualität elterlicher Hausaufgabenhilfe ausschließlich über die Wahrnehmung der Kinder erfolgt. Bezüglich der zugrunde gelegten Dimensionen wird auf die Selbstbestimmungstheorie von Deci und Ryan (1987) rekurriert. Die Autorinnen und der Autor gehen zunächst der Frage nach, ob sich verschiedene Typen von elterlicher Hausaufgabenhilfe eruieren lassen, deren Hausaufgabenpraxis jeweils durch ähnliche Ausprägungen in den Dimensionen emotionale Anteilnahme und Unterstützung, Strukturgebung und Kontrolle/Einmischung gekennzeichnet ist. Mit der Typenbildung wird ein in der Erziehungsstilforschung gängiger Ansatz auf die Untersuchung der Hausaufgabenhilfe übertragen.

In einer zweiten Fragestellung wird untersucht, ob sich die Typen hinsichtlich familialer Bedingungen unterscheiden. Zur Charakterisierung der familialen Lern- und Entwicklungsumgebung nutzen die Autorinnen und der Autor das integrative Modell familialer Sozialisation nach Wild und Hofer (2002). Ausgehend von diesem Ansatz werden familienstrukturelle und sozioökonomische Merkmale, der häusliche Anregungsgehalt, die elterliche Erziehung und die schulbezogene Eltern-Kind-Interaktion erfasst.

Schließlich wird geprüft, inwieweit eine Prädiktion der Lern- und Leistungsergebnisse im Fach Deutsch auf Grundlage des Typs elterlicher Hausaufgabenhilfe möglich ist. Um den positiven oder negativen Einfluss der verschiedenen Typen auf das Lern- und Leistungsverhalten zu bewerten, werden Noten, standardisierte Leistungstests, das Selbstkonzept und die Anstrengungsbereitschaft herangezogen. Die Studie beschränkt sich dabei auf das Unterrichtsfach Deutsch.

Als Datenbasis für Ermittlung der Typen elterlicher Hausaufgabenhilfe wurden Fragebogenangaben von 2.668 Kindern der fünften und sechsten Klasse von Haupt- und Realschulen aus Baden-Württemberg sowie Mittelschulen aus Sachsen genutzt. Diese Stichprobe ist Teil der Längsschnittstudie TRAIN, über die in den betreffenden Bundesländern Leistungsentwicklungsverläufe untersucht werden. Zur Validierung der Ergebnisse der latenten Profilanalysen wurden Fragebogendaten aus der siebten (n = 2.993) und achten Jahrgangsstufe (n = 3.060) herangezogen. Für die Untersuchung von Zusammenhängen zwischen den Typen elterlicher Hausaufgabenhilfe und familialen Bedingungen lagen Elternangaben von 1.996 Schülerinnen und Schülern zur sozialen Herkunft vor.

Die Erfassung der elterlichen Hausaufgabenhilfe erfolgte für die drei Dimensionen jeweils über eine Skala mit vierstufiger Likert-Skala: Emotionale Anteilnahme/Unterstützung wurde mit vier Items (α = .82), Strukturgebung mit sechs Items (α = .88) und Einmischung/Kontrolle mit vier Items (α = .82) anhand von Schülerinnen- und Schülerangaben ermittelt.

Die familienstrukturellen und sozioökonomischen Merkmale (Migrationshintergrund, Beruf der Eltern und Schulabschluss der Eltern) ergänzten die Eltern. Zur Bestimmung des häuslichen Anregungsgehalts dienten die Anzahl der Bücher als Grad der Bildungsnähe und die kulturelle Praxis (u. a. Häufigkeit der Opern- und Theaterbesuche). Zur Untersuchung der elterlichen Erziehung wurden die Eltern-Kind-Kommunikation (sieben Items, α = .77) und die Strukturierung des Alltags (sieben Items, α = .80) herangezogen. Fünf Items dienten der Erfassung der schulbezogenen Eltern-Kind-Interaktion (α = .86).

Die Feststellung der Lern- und Leistungsergebnisse erfolgte über einen standardisierten Test zu Beginn des jeweiligen Schuljahres, der das Leseverständnis prüft. Herangezogen wurden des Weiteren die erste Klassenarbeit und die Zeugnisnote im Fach Deutsch. Das Selbstkonzept und die Anstrengungsbereitschaft eruierten die Autorinnen und der Autor über einen Schülerfragebogen mit jeweils vier Items (α = .64-.67 bzw. α = .81-.86) und vierstufiger Likert-Skala.

Zur Ermittlung von Typen elterlicher Hausaufgabenhilfe wird eine Latente Profilanalyse (LPA) berechnet. Hierbei ergeben sich Profile mit verschiedenen Ausprägungsmustern für die drei Dimensionen elterlicher Hausaufgabenhilfe.

In der zweiten Fragestellung wird die Bedeutung der familialen Merkmale für die Profilzugehörigkeit untersucht. Für dichotome Variablen wurden Χ2-Tests berechnet, für metrische Variablen wurden Cohens` d-Effektgrößen bestimmt.

Beim Vergleich der Profile mit dem Lern- und Leistungsverhalten (dritte Fragestellung) nutzen Moroni et al. multiple Regressionen. Alle Analysen erfolgten in Mplus 7, wobei die Mehrebenenstruktur berücksichtigt und angesichts fehlender Werte das Full-Information-Maximum-Likelihood-Verfahren eingesetzt wurde.

Die Autorinnen und der Autor identifizieren anhand eines Modellvergleichs auf Grundlage der Güteindizes der Latenten Profilanalyse als beste Lösung drei sich trennscharf voneinander abgrenzende Profile (Typen elterlicher Hausaufgabenhilfe). Im Vergleich zur Gesamtpopulation weist Typ 1 (adäquater Typ) ein hohes Maß an emotionaler Anteilnahme und Unterstützung sowie Strukturgebung, aber ein geringes Maß an Einmischung und Kontrolle auf. Typ 2 (durchschnittlicher Typ) erweist sich in allen drei Dimensionen als durchschnittlich, Typ 3 (unbeteiligter Typ) zeigt jeweils niedrigere Ausprägungen. Die Validität der Profile wird durch die Analyse von Daten der siebten und achten Klasse bestätigt.

Gemäß der Χ2-Tests (Frage 2) ist keine signifikante Zuordnung zu einem der Typen aufgrund folgender familialer Bedingungen möglich: Migrationshintergrund, Schulabschluss der Eltern, sozioökonomischer Status, kulturelle Praxis und Anzahl der Bücher im Elternhaus. In Bezug auf Eltern-Kind-Kommunikation und Strukturierung des Alltags sind die Unterschiede signifikant, beide Merkmale sind am stärksten bei Typ 1 ausgeprägt, gefolgt von Typ 2, dann Typ 3 (Typ 1 vs. Typ 2: d = 0,43 und d = 0,40; Typ 1 vs. Typ 3: d = 0,64 und d = 0,46; Typ 2 vs. Typ 3: d = n. s. und d = 0,38). Weniger Streit um schulische Leistungen ist bei Kindern aus Familien des Typs 1 erkennbar, allerdings sind die Effektstärken mit d = 0,21 zwischen Typ 1 und Typ 2 sowie d = 0,27 zwischen Typ 1 und Typ 3 eher gering.

Für die dritte Fragestellung ergibt sich folgendes Bild: Kinder aus Familien vom Typ 2 und Typ 3 erwerben im Vergleich zu Kindern aus Familien des Typs 1 schlechtere Deutschnoten. Entsprechende Ergebnisse zeigen sich für die Deutschleistung, das Selbstkonzept und die Anstrengungsbereitschaft.

Hintergrund: Die Studie greift ein für die Schule relevantes Forschungsdesiderat auf. Nach wie vor stellt sich die Frage, in welchem Umfang und in welcher Form die elterliche Hausaufgabenhilfe sinnvoll oder eher dysfunktional für die schulischen Leistungen eines Kindes ist. Um diesbezüglich Aussagen machen zu können, ist eine umfangreiche Datengrundlage unerlässlich. Die vorliegende Studie erweitert diese durch die Ermittlung von Typen elterlicher Hausaufgabenhilfe, deren Kohärenz zu familialen Bedingungen und mögliche Voraussagen der Lern- und Leistungsergebnisse des Kindes. Die Autorinnen und der Autor diskutieren vor dem Hintergrund bereits vorhandener Forschungsergebnisse die Relevanz der aufgeworfenen Fragen. Die Diskursbezüge sind ausführlich und eventuell sogar etwas weitschweifig. Der Überblick über den im Kontext der Forschungsfragen relevanten Forschungsstand gelingt.

Design: Die Instrumente sowie die verwendete Stichprobe werden hinreichend ausführlich beschrieben. Die detaillierte Angabe der verwendeten Items (Fragestellung 1 und 2) hätte bereichert und den Grad der Validität der Ergebnisse fassbarer oder nachvollziehbarer gemacht. Die Datenaufbereitung wird dargelegt und erfolgt angemessen.

Die methodische Vorgehensweise grenzt die Aussagekraft der Studie ein. Bei der gewählten Stichprobe handelt es sich um Schülerinnen und Schüler von Haupt- und Realschulen. Kinder, die das Gymnasium besuchen, werden nicht berücksichtigt. Durch letztere hätte es durchaus zu einer anderen Typenbildung kommen können.

In der TRAIN-Studie, deren Daten der vorliegenden Untersuchung zugrunde liegen, waren Hauptschulen in schwieriger Lage überproportional vertreten. Zwar werden die Analysen mit gewichteten Stichproben gerechnet, dennoch ergibt sich auch an dieser Stelle die Frage nach der Repräsentanz.

Die Studie erfolgt für das Fach Deutsch. Inwieweit und ob die Ergebnisse auf andere Fächer übertragbar sind, lässt sich nicht schlussfolgern.

Zur Erfassung der elterlichen Hausaufgabenhilfe dienen ausschließlich die Angaben der Schülerinnen und Schüler. In welchem Umfang die Perspektive zehn- bis zwölfjähriger Kinder als valide Informationsquelle angesehen werden kann, ist zu hinterfragen.

Moroni et al. lassen erkennen, dass die Bestimmung des Migrationshintergrunds lediglich auf Angaben zum Geburtsland der Eltern basiert. Um den Bereich der elterlichen Hausaufgabenhilfe im Fach Deutsch zu beurteilen, müssen an dieser Stelle Angaben zur praktizierten Verkehrssprache berücksichtigt werden.

Der generelle Erziehungsstil wird zur Erfassung der familialen Bedingungen nicht berücksichtigt. Inwieweit diese Ebene über die Abfragen zur Eltern-Kind-Kommunikation und zur Strukturierung des Alltags abgebildet wird, ist in Frage zu stellen. Der Einfluss des Erziehungsstils für die Typenbildung bleibt daher tendenziell unberücksichtigt.

Ergebnisse: Mit der Studie gelingt es, drei sich klar voneinander abgrenzende Typen elterlicher Hausaufgabenhilfe zu identifizieren (Forschungsfrage 1). Deutlich wird dabei, dass günstige und ungünstige Verhaltensweisen stets nebeneinander existieren, deren Ausprägung je nach Typ unterschiedlich ist. Signifikante Unterschiede in Hinblick auf die familialen Bedingungen zeigen sich bei der Eltern-Kind-Kommunikation, der Strukturierung des Alltags sowie dem Streit zwischen den Eltern und den Kindern bezüglich der Schulleistungen (Forschungsfrage 2). Bei Vorliegen des adäquaten Typs können im Durchschnitt positive Voraussagen für die Lern- und Leistungsergebnisse des Kindes gemacht werden. Dies ist weder bei Vorliegen des durchschnittlichen noch des unbeteiligten Typs möglich.

Die Grenzen, die das Ergebnis der Studie in sich birgt, werden von dem Forscherteam deutlich benannt und diskutiert. Dennoch erkennen die Autorinnen und der Autor Implikationsmöglichkeiten für die schulische Praxis bei der Beratung und Begleitung von Eltern.

Die Nutzung der Ergebnisse setzt unter anderem die Identifizierung der Typen elterlicher Hausaufgabenhilfe voraus. Für die schulische Praxis bedeutet dies eine hohe Diagnoseleistung, wobei ein sehr sensibles Vorgehen und der entsprechende Zeitfaktor bedacht werden müssen.

Für die Beratungspraxis an Schulen realisierbarer erscheint es daher, die einzelnen Dimensionen zu elterlicher Hausaufgabenhilfe in den Blick zu nehmen (vgl. Niggli et al. 2007).

Generell fragwürdig ist zudem, wie zwingend nötig elterliche Hausaufgabenhilfe in Hinblick auf die schulischen Leistungen eines Kindes ist und inwieweit nicht eher der familiale Hintergrund geprägt durch eine gute Eltern-Kind-Kommunikation das erstrebenswerte Ziel sein sollte. Der Nutzen der Studie ist daher in erster Linie im wissenschaftlichen Bereich  angesiedelt und weniger im schulpraktischen Kontext zu sehen.

Rezension speichern und teilen
Unterstützung für die Praxis

nrw-wappenLandesbildungsserver BW

nrw-wappenBildungsserver MV

nrw-wappenSchulentwicklung NRW

Diese Rezension wurde erstellt von:
Dr. Jutta Kolloch, Lehrerin am Berufskolleg Ehrenfeld, Köln

Sie haben Fragen oder Anregungen?

Schreiben Sie uns!