Fragestellungen der Studie:

  • Welchen Einfluss haben schulische Faktoren auf den Einsatz von Informations- und Kommunikationstechniken durch Lehrerinnen und Lehrer?
  • Welcher Zusammenhang besteht zwischen Faktoren, die den Einsatz von Informations- und Kommunikationstechniken von Lehrkräften beeinflussen, und den computer- und informationsbezogenen Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern?

Rezension zur Studie

Gerick, J., Eickelmann, B. & Bos, W. (2017). School-level predictors for the use of ICT in schools and students CIL in international comparison. Large-scale Assessments in Education, 5(5), 1–13.FIS Bildung

Im Rahmen einer statistischen Sekundäranalyse der durch die ICILS-Studie gelieferten Daten untersuchen die Autorinnen und der Autor, welche Faktoren auf der Schulebene den Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnik (ICT) sowie die computer- und informationsbezogenen Kompetenzen der Lernenden (CIL) beeinflussen. Dies geschieht vergleichend für vier Staaten (neben Deutschland: Tschechien, Norwegen und Australien).

Dabei zeigen sich nahezu keine Gemeinsamkeiten zwischen den Staaten hinsichtlich der fördernden oder beschränkenden Faktoren. Für Deutschland zeigen die Ergebnisse die Bedeutsamkeit der eingeschätzten Selbstwirksamkeit der Lehrkräfte im Umgang mit ICT und die Wichtigkeit einer pädagogischen, auf die Technologien bezogenen Unterstützung der Lehrkräfte für den Einsatz von ICT.

Signifikanten Einfluss auf die digitalen Kompetenz der Lernenden haben neben dem Ausmaß, in dem ICT in der Schule eingesetzt wird, der Ausbildungsstand der Lehrkräfte im Umgang mit ICT, die positive Einstellung der Lehrenden gegenüber dieser Technik, die Unterstützung, die Lehrkräfte hinsichtlich eines pädagogischen Einsatzes der ICT erfahren, die Qualität der Hardware und die Zahl der Lernenden pro Computer. Für andere Staaten ergeben sich jedoch jeweils vollkommen andere Faktorenkombinationen.

Die Bewertung fällt trotz der im Hinblick auf die Forschungsfrage sinnvolle, hinsichtlich des Forschungsdesigns und der Wahl der Datenquelle nachvollziehbare Arbeit zwiespältig aus: Die Autorinnen und der Autor mahnen selbst für die Zukunft qualitative, vergleichende Fallstudien an, um zu vertieften Ergebnissen zu kommen, und warnen davor, die durch sie ermittelten Korrelationen auch als Ursache-Wirkungs-Gefüge zu betrachten. Den unzweifelhaften Wert der Untersuchung schränkt jedoch ein, dass eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem zentralen Begriff der digitalen Kompetenz (CIL) und dem darauf bezogenen Forschungsstand im Artikel nicht erfolgt. Problematisch ist ferner der rein synchrone Ansatz der Untersuchung: Trotz des sich sicherlich über einen längeren Zeitraum erstreckenden Aufbaus der digitalen Kompetenz werden lediglich im Querschnitt die achten Klassen untersucht, hier wären zukünftig Längsschnittuntersuchungen wünschenswert.

Zwar erweist sich das zunächst von den Autorinnen und dem Autor anvisierte Ziel, von den Verhältnissen in anderen Ländern für die Schulentwicklung lernen zu können, angesichts der heterogenen Ergebnisse als schwer erreichbar. Doch gerade darin könnte ungewollt ein Ergebnis von besonderem Wert liegen: Die Verhältnisse in anderen Ländern sind bei der Schulentwicklung nicht ohne weiteres als „Blaupause“ auf das eigene Schulsystem übertragbar, so dass stärker die qualitativen Unterschiede zu erforschen wären, die wiederum ggfs. Impulse für das eigene Schulsystem liefern könnten.

Angesichts aktueller gesellschaftlicher Dynamiken, die in Zusammenhang mit dem zunehmenden Fortschritt in Kommunikations- und Informationstechnologien stehen, gewinnen Fragen zu einem gelingenden Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnik (ICT = information and communication technology) an Schulen an Relevanz, da sich hieraus umfangreiche neue Herausforderungen für die pädagogische Praxis ergeben. So müssen die Lernenden in zunehmendem Maße Kompetenz im Umgang mit dieser Technik (CIL = computer and information literacy) erwerben. In dieser Rezension wird dafür im Folgenden in Anlehnung an den inhaltsgleichen Begriff der „digital literacy“ der Ausdruck „digitale Kompetenz“ verwendet, auch die genannten Abkürzungen werden eingesetzt, um Wortwiederholungen zu vermeiden.
Für die pädagogische Forschung stellt sich mit dem aktuellen, vor allem mit dem Begriff der „Digitalisierung“ angezeigten gesellschaftlichen und schulischen Wandel die Aufgabe, den Kontext zu untersuchen, in dem digitale Kompetenz erworben wird und dabei Faktoren zu erkennen, welche den Erwerb dieser Kompetenz fördern oder beschränken. Hier setzen die Autorinnen und der Autor an und gehen davon aus, dass es im Rahmen einer vergleichenden Untersuchung unterschiedlicher Länder möglich ist, von den jeweils anderen Ländern zu lernen und auf diese Weise Informationen zu gewinnen, welche die betroffenen Schulsysteme bei ihrer hinsichtlich neuer Informationstechnologien notwendigen Weiterentwicklung unterstützen. Die Autorinnen und der Autor nutzen hierbei für die theoretische Grundlegung die ICILS-Studie aus dem Jahr 2013, mit welcher international vergleichend die digitale Kompetenz von Schülerinnen und Schülern analysiert wurde. Ergänzt wurde der theoretische Rahmen durch Erkenntnisse bisheriger empirischer Forschung, so dass vier Aspekte für den Einsatz von ICT in der Schule als relevant angenommen werden: die technische Ausstattung, die Professionalisierung der Lehrkräfte, die schulischen Ziele und die Einstellung und Selbstwirksamkeit der Lehrkräfte.

Die Autorinnen und der Autor legen ihrer Untersuchung zwei Fragen zugrunde:
1. Welchen Einfluss haben schulische Faktoren auf den Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnik (= ICT) durch die Lehrerinnen und Lehrer in den Schulsystemen unterschiedlicher Länder?
2. Welche Beziehungen bestehen in den jeweiligen Ländern zwischen Faktoren, welche für den schulischen Einsatz von ICT relevant sind, sowie zwischen dem Ausmaß, in dem ICT im Unterricht eingesetzt wird, und dem Erwerb von computer- und informationsbezogene Kompetenzen?
Die Autorinnen und der Autor nutzen für ihre Analysen Daten, welche von der International Association for the Evaluation of Education Achievement (IEA) im Rahmen der ICILS 2013-Studie (= International Computer and Information Literacy Study 2010-2014) erhoben wurden. In dieser Studie wurde erstmals vergleichend die mittels computerbasierter Tests erfasste digitale Kompetenz von Achtklässlerinnen und Achtklässlern in 21 unterschiedlichen Schulsystemen untersucht. Es wurden ferner Fragebögen zur Erfassung des sozialen Hintergrunds der Schülerschaft eingesetzt. Die Lehrkräfte wurden zu Einstellungen und Selbstwirksamkeit standardisiert befragt, die zugrunde gelegten Konstrukte weisen gute Skalenwerte auf. Schließlich wurden die Schulleitungen sowie die für ICT an den Schulen zuständigen Personen zu Merkmalen wie der technischen Ausstattung, den schulischen Zielen oder der auf ICT bezogenen Lehrerkooperation befragt.
Hierbei wurde je erfasster Schule ein Zufallssample von ca. 20 Schülerinnen und Schülern und 15 Lehrkräften angestrebt. Dabei blieben Deutschland und Norwegen hinsichtlich der Lehrerantworten bei Rücklaufquoten von 79,5 bzw. 83,1 % unterhalb des von der IEA vorgesehenen Standards, so dass bei den Befragungsergebnissen Verzerrungen nicht ausgeschlossen werden können.
Aus der ICILS-Studie übernehmen die Autorinnen und der Autor auch vier übergeordnete schulische Faktoren, welche, so die Annahme, den Kompetenzerwerb begünstigen oder behindern können. Diese vier Faktoren werden jeweils auf 1 – 4 Merkmale untersucht:
1. Die Ausstattung der Schule mit informations- und kommunikationstechnischem Equipment: a. Rate der Lernenden pro Computer, b. Hardwarequalität c. technologische Unterstützung, d. pädagogische Unterstützung.
2. Die professionelle Entwicklung der Lehrerinnen und Lehrer: a. Teilnahme an ICT- Schulungen, b. Kooperation bei der Lehre im Rahmen des Einsatzes von ICT.
3. Die schulischen Ziele: a. Bedeutung des Einsatzes von ICT für die Entwicklung der digitalen Kompetenz der Lernenden im Rahmen der schulischen Zielvorstellungen.
4. Eigenschaften der Lehrerinnen und Lehrer: a. Einstellung gegenüber ICT, b. Einschätzung der Selbstwirksamkeit in Bezug auf ICT, c. Alter.
Die Untersuchung entnimmt aus dem Datenpool der international angelegten ICILS-Studie Daten von vier Ländern: Tschechien: Das Land hat im ICILS-Ranking sehr gut abgeschnitten. Australien und Norwegen: Hier gibt es eine lange Tradition in der Implementierung von Informations- und Kommunikationstechnik im Unterricht. Deutschland: Das hoch entwickelte Schulsystem weist bislang eine vergleichsweise geringe Durchdringung des Unterrichts durch Informations- und Kommunikationstechnik auf. Erfasst wurden in Deutschland Daten von 1.170 Schülerinnen und Schülern an 70 Schulen; insgesamt gehen in die Analysen Daten zu ca. 9.500 Schülerinnen und Schülern von rund 550 Schulen aus den vier ausgewählten Staaten ein.
Die Daten werden im Hinblick auf die erste Forschungsfrage mittels linearer Regression ausgewertet, bei der Klärung der zweiten Frage kommt ein Mehrebenen-Strukturgleichungsmodell zum Einsatz. Die digitale Kompetenz der Lernenden geht als latente Variabel in das Modell ein. Kontrolliert werden dabei auch soziale Hintergrundmerkmale der Schülerinnen und Schüler wie Migrationshintergrund, Geschlecht und der sozioökonomische Status.
Zum Umgang mit fehlenden Werten wurde die Full-Information-Maximum-Likelihood-Methode eingesetzt, d.h. interessierende fehlende Parameter wurden für die Stichprobe geschätzt.

Hinsichtlich der Faktoren, welche den Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnik im Unterricht beeinflussen, ermitteln die Autorinnen und der Autor auf der Schulebene Befunde, die sich länderspezifisch sehr stark unterscheiden. Lediglich die eingeschätzte Selbstwirksamkeit bezogen auf den Umgang mit ICT, also inwiefern die Lehrkräfte sich beispielsweise sicher fühlen im Umgang mit den einzusetzenden Medien, korreliert in allen vier Ländern positiv mit dem Einsatz entsprechender Informations- und Kommunikationstechnik im Unterricht. In drei Ländern (Australien, Norwegen, Tschechien) erweist sie sich als stärkster Einflussfaktor überhaupt.
Für Australien konnte zudem eine positive Korrelation mit dem Faktor „Teilnahme an ICT- Schulungen“ und eine negative mit dem Faktor „Rate der Lernenden pro Computer“ festgestellt werden. Positive Korrelationen bestehen in den norwegischen Daten für die „Teilnahme an ICT-Schulungen“ und die „positive Einstellung der Lehrkraft zur ICT“, während das „Alter der Lehrkraft“ negativ korreliert.
Bei Tschechien ließen sich positive Korrelationen für das „Alter der Lehrkraft“ und einer „hohen Bedeutung des Einsatzes von ICT für die Entwicklung der digitalen Kompetenz der Lernenden als Schulziel“ belegen, während der Faktor “technologische Unterstützung“ negativ korrelierte.
Die Daten aus Deutschland zeigen lediglich eine weitere – allerdings auffällig starke – Korrelation mit dem Faktor „pädagogische Unterstützung“: inwiefern Lehrkräfte bezogen auf den Einsatz in der pädagogischen Praxis Unterstützung erfahren, steht also in einem Zusammenhang mit dem Einsatz von ICT.
Alle anderen Korrelationsmöglichkeiten ergaben keine statistisch signifikanten Befunde.

Die Frage danach, welchen Einfluss Faktoren auf schulischer Ebene auf die digitale Kompetenz der Schülerinnen und Schüler haben, ergibt für die Länder ebenfalls ein sehr heterogenes Bild.
Nur für Deutschland ergab sich eine kleiner, aber signifikanter positiver Effekt des Ausmaßes, in dem Computer im Unterricht eingesetzt werden und der digitalen Kompetenz der Lernenden. Weitere positive Zusammenhänge zur digitalen Kompetenz zeigen sich in den deutschen Daten bezogen auf die Faktoren „Rate der Lernenden pro Computer“, „Hardwarequalität“, „pädagogische Unterstützung“ und „Teilnahme der Lehrkräfte an ICT- Schulungen“. Dabei ist festzuhalten, dass – bedingt durch die Berechnungsweise der Daten – eine positive Korrelation der digitalen Kompetenz mit dem Faktor „Rate der Lernenden pro Computer“ bedeutet, dass den Schülern vergleichsweise wenige Computer zur Verfügung standen. Negative Korrelationen zeigten sich für die Faktoren „positive Einstellung der Lehrer gegenüber ICT“ sowie „Alter der Lehrkräfte“. Insgesamt können durch diese Befunde 75% der Varianz der digitalen Kompetenz bei den Lernenden erklärt werden.
In Norwegen gilt dies nur für 38% der Varianz der digitalen Kompetenz bei den Lernenden;hier bestehen positive Korrelationen der digitalen Kompetenz lediglich für die Faktoren „Teilnahme der Lehrkräfte an ICT- Schulungen“ und „Alter der Lehrkräfte“.
Für Australien, bei dem lediglich 29% der Varianz der digitalen Kompetenz bei den Lernenden erklärt werden können, ergibt sich nur eine positive Korrelation für den Faktor „Kooperation der Lehrkräfte bei der Lehre im Rahmen des Einsatzes von ICT“.
Nur 17% der Varianz der digitalen Kompetenz bei den Lernenden kann im Fall der tschechischen Daten erklärt werden. Hier ist eine positive Korrelation der digitalen Kompetenz mit dem Faktor „Rate der Lernenden pro Computer“ (s.o.), eine negative für den Faktor „Alter der Lehrkräfte“ nachzuweisen.
Alle übrigen Korrelationen erwiesen sich als statistisch nicht signifikant.

Hinsichtlich der ersten ihrer beiden Forschungsfragen betonen die Autorinnen und der Autor zunächst die für alle vier Länder große Bedeutung der Selbstwirksamkeit hinsichtlich des Umgangs mit ICT als unterstützenden Faktor für den tatsächlichen Einsatz von ICT. Hieraus leiten sie die Notwendigkeit einer Unterstützung der Lehrer ab, damit sich deren Selbstwirksamkeit verbessert.
Es folgen Erläuterungen und Vorschläge zu den einzelnen Ländern:
Im Fall von Deutschland schließen sie aus der empirisch ermittelten hohen Bedeutung des Faktors „pädagogische Unterstützung“, dass Lehrer nicht ausreichend für den Einsatz von ICT in pädagogischen Kontexten vorbereitet seien. Zudem könne es durch die regionale Strukturierung der Zuständigkeit für die technische Unterstützung zu Problemen kommen. Daher schlagen sie vor, dass in Zukunft der Fokus auf einer besseren pädagogischen Unterstützung der Schulen und einer besseren Vorbereitung der Lehrer auf die pädagogische Integration der ICT in den Unterricht liegen solle.
Im Hinblick auf ihre zweite Forschungsfrage verweisen die Autorinnen und der Autor auf die nur in Deutschland nachweisbare positive Korrelation zwischen dem Einsatz von ICT im Unterricht und dem Erwerb digitaler Kompetenz. Zudem schlagen sie für Deutschland eine Untersuchung unterschiedlicher Schultypen vor, da sie bedeutende Unterschiede hinsichtlich der digitalen Kompetenz z.B. zwischen den Schülerinnen und Schülern aus Gymnasien und anderen Schulformen annehmen.
Die Autorinnen und der Autor verweisen zu Recht auf die Beschränkung, dass die Methode der Ermittlung von Korrelationen zwischen Faktoren zwar Zusammenhänge nachweisen kann, dass jedoch keine eindeutigen Ursache-Wirkungs-Gefüge („causality“) erkannt werden können. Vielmehr seien alternative Deutungshypothesen zu berücksichtigen. So besteht z.B. eine positive Korrelation zwischen der digitalen Kompetenz der Schüler und dem Einsatz von ICT im Unterricht. Doch was ist Ursache, was Folge: Führt häufiger Einsatz von ICT zu einer höheren digitalen Kompetenz der Schülerinnen und Schüler oder setzen Lehrkräfte ICT häufiger im Unterricht ein, wenn sie es mit kompetenten Schülerinnen und Schülern zu tun haben? Vor diesem Hintergrund schlagen die Autorinnen und der Autor einen weitreichenden Methodenwechsel vor: im Rahmen ergänzender Untersuchungen sollen qualitative Ansätze detaillierte Erklärungen zur Relevanz der unterschiedlichen Faktoren liefern. Hierfür würden sich z.B. komparative Fallstudien anbieten, in deren Verlauf unterstützende und beschränkende Faktoren detaillierter herausgearbeitet werden könnten. Durch dieses Vorgehen erwarten sie wichtige Hinweise für zukünftige schulische Entwicklungen.
Abschließend kommentieren die Autorinnen und der Autor vor dem Hintergrund der Schulentwicklung das Ergebnis, dass der Gebrauch von ICT im Unterricht wesentlich von Eigenschaften der Lehrpersonen abhängt, dass davon aber nicht notwendigerweise das Ausmaß der von den Schülern erworbenen digitalen Kompetenz bestimmt wird. In diesem Zusammenhang schlagen sie ein – nicht näher ausgeführtes – fähigkeitsbasiertes und kompetenzorientiertes Lernen zum Erwerb digitaler Kompetenz vor.

Eine Einschätzung der Untersuchung fällt zwiespältig aus:
Die Fragestellung ist angesichts der gegenwärtig ablaufenden „digitalen Revolution“ in der Gesellschaft von sehr hoher Relevanz, das Design des Forschungsprojekts ist nachvollziehbar, die Datenquelle ist gut gewählt und die Untersuchung bietet aussagekräftige Befunde. Die zukünftige Weiterentwicklung der Forschung durch vergleichende Fallstudien und eine Auffächerung nach Schultypen erscheint sinnvoll. Auch der Hinweis auf Schwierigkeiten, Kausalitäten (und nicht „nur“ Korrelationen) nachweisen zu können, verdient Beachtung.
Es gibt jedoch auch offensichtliche Schwächen und Unvollständigkeiten.
Zunächst ist auffällig, dass die Autorinnen und der Autor keine vertiefte Einordnung ihres Projekts in den Forschungsstand zum Thema digitale Kompetenz vornehmen. Dadurch wird nur sehr eingeschränkt klar, was bereits vor dem Beginn der Studie bekannt war und wo wesentliche inhaltliche und methodische Innovationen erreicht wurden und an welches Desiderat beispielsweise die Untersuchung anknüpft. Bedauerlich ist in diesem Zusammenhang insbesondere, dass der zentrale Begriff „computer and information literacy“ (= digitale Kompetenz) von den Autorinnen und dem Autor eher als gegeben hingenommen als erläutert und problematisiert wird, bzw. dass diese sich mit dem Verweis auf die theoretische Rahmengebung in ICILS beschränken.
Hinsichtlich der Befunde überraschen die Unterschiede zwischen den verschiedenen untersuchten Ländern: Was in einem Fall mit einer signifikanten Veränderung des Einsatzes von ICT oder mit einem positiven Zusammenhang zur digitalen Kompetenz von Schülerinnen und Schülern verbunden ist, bleibt im anderen Fall vollkommen wirkungslos. Gelegentlich korrelieren Faktoren im einen Land positiv, im anderen aber negativ. Auch wenn für die verschiedenen Länder unterschiedliche Traditionen für den Einsatz von ICT im Unterricht bestehen, überraschen diese deutlichen Unterschiede hinsichtlich Korrelation und Signifikanz. Die Erklärungsversuche der Autorinnen und des Autors hierzu im abschließenden Kapitel ihrer Arbeit sind unvollständig und wirken nicht immer überzeugend, allerdings stellen die Befunde ja auch keine wirklichen Erklärungen bereit.
Eine eventuell aus ihren Ergebnissen abzuleitende entscheidende Folgerung ziehen sie jedoch nicht: So erweisen sich Ergebnisse aus einem Land nicht ohne weiteres als übertragbar auf die Verhältnisse in einem anderen Land, ein allgemeingültiger kausaler Zusammenhang ist nicht erkennbar. Das aber würde es schwierig machen, die Gegebenheiten in einem anderen Land als Vorbild für die Entwicklung im eigenen Land anzusehen, was hieße, dass man aus den Ergebnissen anderer Länder nur sehr wenig für das eigene Handeln lernen könnte. Der hier systemisch vergleichende Ansatz wäre also um qualitative Analysen unter Berücksichtigung auch struktureller Unterschiede in den Ländern zu ergänzen, will man einerseits Erklärungen für die gefundenen Unterschiede explorieren und andererseits durch die qualitative Aufarbeitung beispielsweise unterschiedlicher Konzepte, Fortbildungsansätze, Unterstützungsformate etc. von anderen Ländern für die eigene systemische Weiterentwicklung Impulse gewinnen.
Auch ist auffällig, dass im Vergleich zu Deutschland die Varianz in der digitalen Kompetenz bei den Lernenden anderer Länder zu einem deutlich geringeren Anteil mit Hilfe der untersuchten Faktoren erklärt werden kann. Hier wäre zu eruieren, welche weiteren, bislang noch nicht untersuchten Faktoren eine Rolle spielen könnten. Immerhin schlagen die Autorinnen und der Autor die Aufnahme zusätzlicher Faktoren (z.B. school leadership) in zukünftige Analysen vor. Doch wäre es nicht auch denkbar, dass viele Schülerinnen und Schüler einen erheblichen Teil ihrer digitalen Kompetenz in anderen Kontexten als den untersuchten erworben haben? Die Konzentration auf Achtklässler und ihre Lehrpersonen etwa berücksichtigt nicht, was bereits in früheren Schuljahren mit z.T. gänzlich anderem Lehrpersonal und gänzlich anderen Lehrsituationen an Kompetenzen aufgebaut wurde. Und wäre es denkbar, dass ein erheblicher Teil an digitaler Kompetenz der Schüler gar außerhalb der Schule erworben worden wäre? Dies würde bedeuten, dass letztlich der Fokus auf allein schulische Faktoren keine umfassende Aufklärung verspräche.
Gleichwohl deuten die Befunde für Deutschland interessante Praxisimplikationen an; diese betreffen vor allem die Professionalisierung und hier z.B. Fortbildungsformate für Lehrkräfte, die insbesondere auch dazu befähigen, neue Informations- und Kommunikationstechnologien für pädagogische Zwecke zu nutzen und pädagogisch adäquat einzusetzen. Diesbezüglich ist den Autorinnen und dem Autor daher nur zuzustimmen, wenn sie es als eine zentrale Herausforderung sehen, die pädagogische Unterstützung des Einsatzes von ICT für Lehrkräfte zu verbessern. Dies betrifft die schulische Ebene, auf der dieser Herausforderung im Rahmen von Schulentwicklung begegnet werden muss, aber auch das Gesamtsystem, in dem entsprechende Unterstützungsangebote der Weiterentwicklung bedürfen.

Diese Rezension wurde erstellt von:
Dr. Heinz Sander, Lehrer am Gymnasium der Stadt Kerpen – Europaschule und Privatdozent an der Universität zu Köln

Sie haben Fragen oder Anregungen?

Schreiben Sie uns!