Fragestellungen der Studie:

  • Welche Effekte haben BISS-Sprachbildungsmaßnahmen im Kontext des Mathematikunterrichts?

Rezension zur Studie

Rank, A., Deml, I., Lenske, G., Merkert, A., Binder, K., Schulte, M., Schilcher, A., Wildemann, A., Bien-Miller, L. & Krauss, S. (2021). Eva-Prim: Evaluation von Sprachförderkompetenz und (bildungs)sprachlichen Leistungen von Schülerinnen und Schülern in Mathematik. In S. Gentrup, S. Henschel, K. Schotte, L. Beck & P. Stanat (Hrsg.), Sprach- und Schriftsprachförderung wirksam gestalten: Evaluation umgesetzter Konzepte (S. 105–124). Stuttgart: Kohlhammer.

Einem sprachsensiblen Mathematikunterricht kommt große Bedeutung zu, denn Sprache kann Lerngegenstand, Lernmedium, Lernvoraussetzung und auch Lernhindernis sein. Die Autorengruppe um Astrid Rank evaluiert im Kontext des Mathematikunterrichts Effekte von Sprachbildungsmaßnahmen, die im Rahmen der Bund-Länder-Initiative „Bildung durch Sprache und Schrift“ (BiSS) im Grundschulbereich durchgeführt wurden. Schwerpunkte der Evaluation waren unter anderem die Umsetzung von Sprachbildung im Unterricht, das fachdidaktische Wissen der Lehrkräfte im Bereich Sprachförderung und Grundschulmathematik sowie die Entwicklung von mathematischen und sprachlichen Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler.

Insgesamt wurden 984 Kinder des 2. bis 4. Schuljahres sowie ihre 86 Lehrkräfte längsschnittlich zu jeweils 3 Messzeitpunkten befragt und getestet. Die Kontrollgruppe bestand aus 4 Lehrkräften und 239 Kindern, die keinem BiSS-Verbund angehörten. Für die Datenerhebungen wurden Fragebögen sowie diverse Testinstrumente (etwa zur Erfassung mathematischer Grundfähigkeiten oder der Lesekompetenz) eingesetzt und exemplarische Unterrichtsstunden von 8 Lehrkräften videografiert.

Die Videoanalysen verdeutlichen, dass der beobachtete Unterricht lehrkraftzentriert war, unter anderem weil die Lehrkräfte meist Benennungs- und Entscheidungsfragen stellten, die häufig nur kurze Antworten verlangten. Fragen, die Beschreibungen, Begründungen oder Vermutungen und damit umfangreichere sprachliche Reaktionen erforderten, wurden deutlich seltener eingesetzt. Veränderungen im fachdidaktischen Wissen der Lehrkräfte sind nicht nachweisbar bzw. nicht verlässlich interpretierbar. Die Wiederholungsmessungen zu den Leistungsständen der Schülerinnen und Schüler erbringen signifikante Leistungszuwächse bei mathematischen und sprachlichen Kompetenzen, allerdings gleichermaßen für die BiSS- und die Kontrollgruppe.

Während die Untersuchung einen wesentlichen Ausgangspunkt wählt – die Bedeutung sprachlicher Kompetenzen für den Mathematikunterricht – und vor allem im Zusammenhang mit den Videoanalysen prägnante Befunde liefert, bleiben doch gravierende methodische Schwächen festzuhalten, die die Aussagekraft der Evaluation schmälern. Dazu zählen Probleme der Stichprobe, die geringe Messqualität der Tests zum fachdidaktischen Wissen und Mängel des Untersuchungsdesigns, vor allem der unklare Bezug der Sprachbildungsmaßnahmen zum Mathematikunterricht und zu den Messzeitpunkten.

Nachfolgende Reflexionsfragen sind ein Angebot, die Befunde der rezensierten Studie auf das eigene Handeln als Lehrkraft oder Schulleitungsmitglied zu beziehen und zu überlegen, inwiefern sich Anregungen für die eigene Handlungspraxis ergeben. Die Befunde der rezensierten Studien sind nicht immer generalisierbar, was z. B. in einer begrenzten Stichprobe begründet ist. Aber auch in diesen Fällen können die Ergebnisse interessante Hinweise liefern, um über die eigene pädagogische und schulentwicklerische Praxis zu reflektieren.

Reflexionsfragen für Lehrkräfte:

  • Welche Beobachtung mache ich in meinem Fach zu den sprachlichen Kompetenzen der Kinder? Wo zeigen sich in diesem Rahmen Defizite? Wie erhebe und dokumentiere ich diese? 
  • Welche Forderungen zur sprachlichen Kompetenzentwicklung enthalten die Bildungsstandards und fachspezifischen Lehrpläne?
  • Welche Möglichkeiten bestehen im Rahmen meines Unterrichts, die sprachliche Kompetenz zu verbessern? Welche Maßnahmen kämen hierzu infrage? Gibt es hierbei Gelegenheiten, etwa mit den Lehrkräften der sprachlichen Fächer zusammenzuarbeiten?
  • Inwiefern gebe ich durch meine Art der Führung des Unterrichtsgesprächs (z. B. Einforderung von Erklärungen statt Einforderung von Ein-Wort-Antworten, Zeitvorgaben) Gelegenheit zur sprachlichen Entwicklung?

Reflexionsfragen für Schulleitungen:

  • Inwiefern gibt es an meiner Schule das Bewusstsein, dass auch in „nichtsprachlichen“ Fächern (wie z. B. Mathematik) Sprachförderung von großer Bedeutung ist? Inwiefern kann dieses Bewusstsein gefördert werden? 
  • Sollte es zu diesen Themen Maßnahmen an meiner Schule (z. B. Fortbildungsveranstaltungen) geben? Wer / welche Institutionen könnten hier unterstützend helfen? 
  • Gibt es Klassen, in denen durch die Zusammensetzung der Schülerschaft ein besonderer Bedarf an Sprachförderung besteht?

Der Artikel von Rank et al. zum Eva-Prim-Projekt befasst sich mit der Evaluation der Wirksamkeit von Sprachbildungsmaßnahmen, die im Rahmen der Bund-Länder-Initiative „Bildung durch Sprache und Schrift“ (BiSS) im Grundschulbereich durchgeführt wurden.

Die BiSS-Initiative gliedert sich in mehrere Module. Alle im Rahmen von Eva-Prim evaluierten Grundschulverbünde, die jeweils von Verbundkoordinatorinnen und -koordinatoren begleitet und moderiert wurden, gehören dem Modul „Gezielte sprachliche Bildung in fachlichen und alltäglichen Kontexten“ an. Bedingt durch die relative Offenheit des Moduls war die Schwerpunktsetzung innerhalb der verschiedenen Verbünde nicht einheitlich. Gemeinsam war den Verbünden, dass die beteiligten Lehrkräfte mit umfangreichen Materialien zum Thema Sprachbildung ausgestattet wurden oder diese selbst erarbeiteten. Darüber hinaus wurde der Einsatz neuer Sprachfördermethoden im Unterricht reflektiert.

Rank et al. nehmen gezielt den fachlichen Kontext des Mathematikunterrichts in den Blick und verweisen in ihren einleitenden Ausführungen auf Ergebnisse von PISA und IGLU/TIMSS, die übereinstimmend einen starken Zusammenhang zwischen Lese- und Mathematikkompetenzen zeigen. Weitere Untersuchungen erbrachten, dass vor allem die allgemeine Sprachkompetenz und weniger die Lesefähigkeiten Einfluss auf das mathematische Lernen haben. In den Lehrplänen für Mathematik spiegele sich die Berücksichtigung der Sprachfähigkeit in den Bereichen des mathematischen Argumentierens und Kommunizierens und auch in der Mathematikdidaktik finde das Thema „Sprache und Mathematik“ zunehmend Aufmerksamkeit.

Unter den in der Mathematikdidaktik diskutierten Leitthemen im Bereich Sprachkompetenz konzentrieren sich Rank et al. auf zwei Punkte:

  • Wie soll gelingender sprachsensibler Mathematikunterricht gestaltet sein und welche Voraussetzungen müssen die Lehrkräfte dafür mitbringen?
  • Welche sprachbezogenen Kompetenzen sollen bei den Schülerinnen und Schülern gefördert werden?

Hinsichtlich der Gestaltung eines sprachsensiblen Unterrichts unterscheidet die Autorengruppe eine defensive und eine offensive Strategie: Bei der defensiven Strategie würden Sprachbarrieren beseitigt, im Extremfall bis zu einem Punkt, an dem keine weitere Entwicklung der Sprachkompetenz der Lernenden mehr notwendig sei. Die offensive Strategie hingegen ziele auf eine Stärkung der fachspezifischen Sprachfähigkeiten. Dabei würden Funktionen wie „erklären“ oder „beschreiben“ als wichtiger angesehen als der Ausbau der lexikalischen und syntaktischen Ebene, da Erstere dem Vermögen zur Abstraktion und zur Ableitung allgemeiner Strukturen zugutekommen sollten. 

Für Lehrkräfte ergebe sich aus dem Ziel eines sprachsensiblen Mathematikunterrichts die Notwendigkeit, für sprachliche Fragen sensibilisiert zu sein, gegebenenfalls neuartige Erklärpraktiken einzusetzen und sprachliche Barrieren abzubauen. Damit benötigten Mathematiklehrkräfte fachdidaktisches Wissen nicht nur zur Vermittlung mathematischer Inhalte, sondern auch im Bereich Sprachförderung, um die schülerseitige Entwicklung sprachlicher und mathematischer Kompetenzen parallel zu unterstützen. 

Vor diesem Hintergrund behandeln Rank et al. zwei Fragen, welche die Untersuchung leiten:

  1. Wie zufrieden waren die Koordinatorinnen und Koordinatoren der in Eva-Prim einbezogenen Verbünde mit der BiSS-Initiative?
  2. Welche Kompetenzen bzw. Kompetenzentwicklungen auf Ebene der Lehrkräfte bzw. der Schülerebene zeigen sich im Evaluationszeitraum?

Stichprobe
Die Untersuchung erfolgte anhand von vier 4 BiSS-Verbünden (= 21 Grundschulen, hier 86 teilnehmende Lehrkräfte, 8 Verbundkoordinatorinnen und -koordinatoren, 984 teilnehmende Schülerinnen und Schüler). Vergleichend wurden 6 Schulen, die nicht zu den BiSS-Verbünden gehörten, als Kontrollgruppe einbezogen: Hier nahmen 4 Lehrkräfte und 239 Schüler und Schülerinnen teil. Der Vergleich von BiSS-Gruppe und Kontrollgruppe zeigte zum Teil deutliche Unterschiede: In der Kontrollgruppe war der Anteil der mehrsprachig aufgewachsenen Kinder deutlich höher und der mittlere elterliche Bildungsstand geringer.

Die Untersuchung erfolgte im Längsschnitt in drei Schritten vom 2. bis zum 4. Schuljahr zwischen März 2016 und Dezember 2017, was Schwankungen bei den Beteiligtenzahlen zur Folge hatte. Zudem wurden nicht an allen Standorten alle Erhebungselemente zu allen drei Messzeitpunkten eingesetzt.

Erhebungsinstrumente
Die Untersuchung erfolgte auf drei Betrachtungsebenen:

1. Verbundebene
Jeder Grundschulverbund wurde durch Koordinatoren und Koordinatorinnen begleitet bzw. gelenkt. Mittels eines teilstandardisierten Interviews wurde deren Zufriedenheit mit der BiSS-Initiative erfasst. Dabei wurden die Antworten untergliedert in gelungene und verbesserungswürdige Aspekte der Initiative.

2. Lehrkraftebene 

  • Der Autorengruppe zufolge existierten für die Primarstufe nur wenige Professionswissenstests sowie kein Test, der fachdidaktisches Wissen im Bereich der Sprachförderung erfassen könnte. Dementsprechend wurden im Rahmen von Eva-Prim Tests zur Erfassung des fachdidaktischen Wissens in den Bereichen Sprachbildung (FaWi-S) und Mathematik (FaWi-M) erarbeitet und zwischen dem 1. und 3. Messzeitpunkt weiterentwickelt. Der FaWi-S-Fragebogen enthält 19 Items (14 davon mit fachdidaktischem, 3 mit fachwissenschaftlichem und 2 mit pädagogischem Schwerpunkt; Cronbachs α = .72). Bei den fachdidaktischen Items werden die Bereiche Rechtschreiben, Schreiben, Sprechen, Lesen abgedeckt und die Antworten bepunktet (maximal sind 34 Punkte erreichbar). Der FaWi-M-Test enthält 6 Items (zu den Bereichen Arithmetik, Geometrie, Stochastik, Muster und Strukturen; Cronbachs α = .46), es können bis zu 8 Punkte erzielt werden.
  • Zum 2. Messzeitpunkt wurden 8 Videoaufzeichnungen des Unterrichts auf der Basis eines Zwei-Kamera-Designs vorgenommen und im Hinblick auf das Frageverhalten der Lehrkräfte und die sprachliche Qualität der Schülerantworten ausgewertet. Zwei der Lehrkräfte ermöglichten auch zum 3. Messzeitpunkt eine Videoaufzeichnung. Die videografierten Lehrkräfte entsprachen bei der Leistungsverteilung, etwa im fachdidaktischen Wissenstest zur Sprachbildung (FaWi-S), der Gesamtgruppe. Bei den aufgezeichneten Unterrichtsveranstaltungen handelte es sich jeweils um Einführungsstunden im Mathematikunterricht, die Lehrkräfte waren hierfür aufgefordert worden, sprachintensive Themenkomplexe zu wählen. Im Anschluss wurden die Stunden transkribiert und mit der Analysesoftware MAXQDA ausgewertet. Mindestens 25 % des erhobenen Datenmaterials jeder Videoanalyse wurden von je zwei geschulten Kodiererinnen unabhängig voneinander auf Grundlage eines selbst konstruierten Kodiermanuals im Hinblick auf Sozialform, Identifikation von Lehrkraftfragen und deren Diskursfunktion sowie minimale satzwertige Einheiten der Schülerantworten untersucht (Cohens Kappa ≥ .93). 
  • Mit einem Fragebogen wurden persönliche Daten der Lehrkräfte erfasst (Alter, Geschlecht, Berufserfahrung, Examensnote).

3. Ebene der Schüler und Schülerinnen
Zum 1. Messzeitpunkt wurden fünf standardisierte Leistungstests zu kognitiven Grundfähigkeiten, mathematischen Grundfähigkeiten, bildungssprachlichem Hörverstehen, Lesekompetenz und Wortschatz durchgeführt. Ab dem 2. Messzeitpunkt wurden anhand eines eigens entwickelten Tests (SAMT, „Sprachliche Ausdrucksfähigkeit in Mathematik“) die schriftsprachlichen Kompetenzen im Fach Mathematik ermittelt. Ein Elternfragebogen erfasste Daten zur Person (Alter, Migrationshintergrund, Geschlecht, sozioökonomischer Hintergrund).

Auswertung
Mit Ausnahme der oben im Zusammenhang mit den Videoaufzeichnungen gemachten Angaben werden in dem Artikel kaum Einzelheiten zu Auswertungsverfahren mitgeteilt. Soweit Daten per Fragebogen oder Tests ermittelt wurden, wurden Mittelwerte und Standardabweichungen berechnet.

Zufriedenheit mit der BiSS-Initiative
Als gelungen sehen die Koordinatoren und Koordinatorinnen den Versuch an, das Angebot zur Sprachbildung deutschlandweit zu überblicken, zu bündeln und zu bewerten. Auch der gegenseitige Erfahrungsaustausch und das Kontaktknüpfen werden aufgrund der sich daraus ergebenden Entwicklungsperspektiven als positiv angesprochen.

Als verbesserungswürdige Problemsituationen werden unter anderem strukturelle Einschränkungen gesehen, etwa personelle Ressourcenknappheiten. Auch eine Fortsetzung der BiSS-Initiative und eine Erweiterung oder Vertiefung der eigenen Arbeit in der Sprachbildung werden angeregt. Die Beobachtung, angesichts von hoher Arbeitsbelastung nicht genügend Möglichkeiten für die erwünschte Bottom-up-Strukturierung zu haben, wird ebenso geäußert wie der Wunsch, Verantwortlichkeiten zu strukturieren und die Arbeit durch (personal)strukturelle Entscheidungen zu unterstützen.

Kompetenzen und Kompetenzentwicklung auf Ebene von Lehrkräften sowie Schülern und Schülerinnen
1. Lehrkräfte: Professionswissen (FaWi-S, FaWi-M)
Die Lehrkräfte aus der BiSS-Gruppe erreichen zum 2. Messzeitpunkt im Mittel 19.65 von 34 möglichen Punkten im Bereich Sprachförderung (SD = 3.44) und 4.54 von 8 möglichen Punkten im Bereich mathematikdidaktisches Wissen (SD = 1.54). Bei denjenigen Lehrkräften, die sowohl beim 2. als auch beim 3. Messpunkt an der Untersuchung teilnahmen, erfolgte vom 2. zum 3. Messzeitpunkt ein nicht signifikanter Zuwachs an Professionswissen im Bereich der Sprachförderung (19.63 → 19.92), während beim mathematikdidaktischen Wissen ein signifikanter Anstieg beobachtet werden konnte (4.27 → 4.92).

2. Lehrkräfte: Umsetzung der Sprachbildung im Mathematikunterricht (Videoanalytik)
Die Videoanalysen ergaben eine starke Lehrkraftzentrierung des Unterrichts in den Plenumsphasen: Der Redebeitrag der Lehrkräfte, der zum 2. Messzeitpunkt erfasst wurde, betrug mehr als 68 %, die Schüler und Schülerinnen kamen in annähernd 22 % der Zeit zu Wort, die übrige Zeit wurde geschwiegen. Die Dominanz des Redebeitrags der Lehrkraft ist (auch) eine Folge von deren Frageverhalten: Mehr als 60 % der Lehrkraftfragen werden als Benennungs- oder Entscheidungsfragen identifiziert, dementsprechend kurz sind die Schülerantworten: Ein-Wort-Antworten dominieren. Fragen, welche Beschreibungen, Begründungen oder Vermutungen provozieren und damit sprachlich umfangreichere oder komplexere Lösungen hervorrufen könnten, sind deutlich seltener (zusammen 32 %). Da zum 3. Messzeitpunkt nur noch zwei Lehrkräfte für Videoanalysen zur Verfügung standen, sind Aussagen zur zeitlichen Veränderung des Frageverhaltens nur unter starkem Vorbehalt möglich. Nichtsdestotrotz fällt bei beiden Lehrkräften auf, dass sie – wohl unter der Wirkung der Rückmeldungen nach der ersten Videoanalyse – ihr Frageverhalten veränderten und zudem den Kindern längere Zeit einräumten. Die Folge war ein umfangreicherer sprachlicher Output der Schülerinnen und Schüler.

3. Schülerinnen und Schüler: Leistungsdaten
Die Leistungsdaten für die Schülerinnen und Schüler, die im Rahmen der BiSS-Initiative an mehreren Zeitpunkten getestet worden waren, zeigen unter Kontrolle des Migrationshintergrundes, Intelligenzquotienten und des sozioökonomischen Status einen signifikanten Leistungszuwachs bei mathematischen Grundfähigkeiten, bildungssprachlichem Hörverstehen, Wortschatz und Lesekompetenz. Allerdings unterscheiden sich diese Ergebnisse nicht wesentlich von den Kindern der Kontrollgruppe, da auch bei diesen unter Kontrolle des Migrationshintergrundes, Intelligenzquotienten und sozioökonomischen Status ein signifikanter Lernzuwachs zu verzeichnen ist.

Die Autorengruppe um Rank et al. konstatiert zwar forschungsmethodische Einschränkungen (etwa die (zu) kleinen Stichproben bei den Lehrkräften und die unterschiedliche Intensität der Arbeit innerhalb des Verbundes), geht aber davon aus, dass es gelungen sei, Skalen und Instrumente für die Evaluation des sprachbildenden Mathematikunterrichts zu entwickeln, die auch zukünftig eingesetzt (und dabei optimiert) werden könnten. Darüber hinaus gehen sie davon aus, dass es Hinweise auf mögliche positive Effekte der BiSS-Initiative gibt: Es sei eine Steigerung der mathematischen Kompetenzen von Lehrkräften und Schülerinnen und Schülern festzustellen und der Mathematikunterricht werde auch als Sprachunterricht wahrgenommen. Schließlich sei die Verknüpfung von Videoanalyse und individueller Rückmeldung ein Mittel zur Stärkung des sprachbildenden Verhaltens im Unterricht.

Es fällt schwer zu beurteilen, ob diese Einschätzungen von Rank et al. berechtigt sind. Damit soll nichts gegen die grundsätzlichen Überlegungen der Forscherinnen und Forscher eingewandt werden: Die Bedeutung der sprachlichen Entwicklung und der Aufbau von sprachlichen Kompetenzen – innerhalb und abseits der Fachsprache – für einen gelingenden Mathematikunterricht dürfte kaum zu überschätzen sein, ihre weitergehende Erforschung (auch in anderen Altersgruppen) und thematische Einbindung in die Lehramtsausbildung und ihre Förderung im Unterricht wären nur zu begrüßen. Auch einige der im Rahmen der Videoanalysen gemachten Beobachtungen (Lehrkräfte setzen zu oft Fragen ein, die Kurzantworten erlauben, und fordern zu schnell Antworten ein) dürften nicht nur zutreffen, sondern auch anregend für die Unterrichtsentwicklung sein. 

An einigen Stellen zeigen sich aber Probleme bei der Konzeption der Untersuchung und ihrer Darstellung. So fehlen beispielsweise in diesem Artikel die Hintergründe sowie die Gesamtkonzeption der BiSS-Initiative, um die Forschungsfragen sowie die Ergebnisse entsprechend einordnen zu können. Dies mag jedoch daran liegen, dass es sich beim gewählten Artikel um einen Beitrag in einem Sammelband handelt und die grundlegenden konzeptionellen Pfeiler in einem vorangegangenen Kapitel dargelegt wurden. 

Unklar bleibt beispielsweise, wie die Fragestellung zur Zufriedenheit der Koordinatorinnen und Koordinatoren hergeleitet wurde und ob bzw. inwiefern sie in einem Verhältnis zur zweiten Forschungsfrage steht. Auch wurde die Frage nach der Zufriedenheit der Koordinatorinnen und Koordinatoren in diesem Artikel nicht beantwortet, da nur aufgelistet wird, was in den Interviews seitens der Koordinatorinnen und Koordinatoren als positiv oder negativ an der BiSS-Initiative angeführt wird. Da diese Ergebnisse jedoch nicht ins Verhältnis zueinander gesetzt werden, kann abschließend keine Aussage zur Zufriedenheit getroffen werden.

Problematisch ist jedoch, dass die Einschätzung der BiSS-Initiative letztlich aus dem Blickwinkel der Koordinatorinnen und Koordinatoren erfolgt. Inwiefern in deren Urteil auch Rückmeldungen der Lehrkräfte oder gar der Kinder eingegangen sind, wird nicht deutlich, und die geringe Zahl der befragten Koordinatoren und Koordinatorinnen kann leicht zu Verzerrungen bei den Aussagen führen. Auch wird nicht klar, inwiefern sich Koordinatoren und Koordinatorinnen ein Scheitern ihres Projekts selbst zuschreiben würden und daher vielleicht weniger geneigt wären, Anzeichen dafür einzuräumen.

Bei der Ermittlung des Professionswissens bleibt das Verfahren zum Teil schleierhaft. So wird zwar deutlich gemacht, dass das Ergebnis aus Befragungen von Lehrkräften in Form eines Punktewerts abgeleitet wird. Wie dieser Punktewert aber zustande kommt und was er bedeutet, lässt sich nicht rekonstruieren. Daneben ist die angegebene Messgenauigkeit der Tests zum Professionswissen, insbesondere zum fachdidaktischen Wissen im Bereich Mathematik, eher gering, so dass die ermittelte Veränderung nicht verlässlich interpretierbar ist. Auch wird zu wenig deutlich, welche Aspekte der sprachlichen Entwicklung konkret betrachtet und wie sie gewichtet werden, die Angabe „Rechtschreibung, Schreiben, Sprechen und Lesen“ (S. 111) ist viel zu grob. Ob es – wie es hier geschieht – dabei sinnvoll ist, auch die Rechtschreibung im Rahmen der sprachlichen Entwicklung einzubeziehen und sich davon eine Perspektive für den Mathematikunterricht zu erwarten, wäre eine Diskussion wert.

Überhaupt bleibt unklar, inwiefern Bezüge zwischen den Sprachfördermaßnahmen und den Testkonstrukten bestehen und insofern Annahmen über eine BiSS-induzierte Veränderung plausibel sind. Dies gilt für die Chronologie (wann fanden Sprachfördermaßnahmen statt?) und die Inhalte (in welchem Zusammenhang stehen die erhobenen fachdidaktischen Kompetenzen mit den Sprachfördermaßnahmen?). Insgesamt ist eher anzunehmen, dass auf der Grundlage der gewählten Instrumente und der Stichprobengröße – wenn überhaupt – lediglich Hinweise auf Kompetenzzuwächse bei Lehrkräften zu finden sein könnten. Von tatsächlichen Kompetenzzuwächsen kann daher in diesem Kontext nicht gesprochen werden. 

Hinsichtlich der Leistungsdaten der Schüler und Schülerinnen besteht eine ganze Reihe von Problemen. Sie beginnt damit, dass eine Vergleichsgruppe zur Gruppe der an der BiSS-Initiative teilnehmenden Kinder gewählt wird, die sich sehr von dieser unterscheidet, und dies vor allem ausgerechnet an dem Punkt des Sprachgebrauchs, der hier im Zentrum der Untersuchung steht. So unterscheiden sich BiSS-Gruppe und Kontrollgruppe außerordentlich stark hinsichtlich des Anteils von Kindern mit mehrsprachigem Hintergrund. Die sich daraus ergebenden möglichen Konsequenzen für die Vergleichbarkeit der Daten werden nicht diskutiert.

Die gemessenen Leistungsdaten der Kinder selbst zeigen beim Vergleich der Messzeitpunkte verbesserte Werte. Worauf diese aber zurückzuführen sind, etwa 

  • auf die BiSS-Initiative und deren Auswirkungen auf die Sprachsensibilität des Mathematikunterrichts oder 
  • auf Fortschritte im Deutschunterricht oder 
  • auf eine Reifung des Kindes oder 
  • auf Gründe, die im sprachlichen Alltag des Kindes liegen,

ist unbekannt, so dass keine Rückschlüsse auf den Erfolg oder Misserfolg der BiSS-Initiative möglich und sinnvoll sind. Ein solcher Rückschluss wäre gegebenenfalls beim Vergleich mit der Kontrollgruppe möglich, doch verhindert dabei nicht nur die oben bereits genannte unterschiedliche Zusammensetzung der untersuchten Gruppen eine solche Aussage. Auch die nur minimalen Unterschiede der gemessenen Leistungswerte zwischen der BiSS-Gruppe und der Kontrollgruppe lassen keine zuverlässige Aussage über Erfolg oder Misserfolg der BiSS-Initiative zu. Zu diesem Punkt wären weitere, methodisch ausgereiftere Untersuchungen notwendig.

Diese Rezension wurde erstellt von:
Dr. Heinz Sander, Lehrer am Gymnasium der Stadt Kerpen – Europaschule und Privatdozent an der Universität zu Köln

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