Fragestellungen der Studie:

  • Welche schulischen Bedingungen sind prädiktiv für die Toleranz von Schülerinnen und Schülern?

Rezension zur Studie

Ziemes, J. F. & Abs, H. J. (2020). Welche schulischen Bedingungen sind geeignet, um Toleranz zu fördern? Eine Analyse auf Basis der International Civic and Citizenship Education Study 2016. Die deutsche Schule, 112, 159–177.FIS Bildung

Ziemes und Abs gehen in ihrer Studie der Frage nach, welche Faktoren dazu beitragen, dass Schülerinnen und Schüler tolerante Einstellungen entwickeln. Aus den erhobenen Befunden leiten sie Handlungsempfehlungen ab. Mit dieser Fragestellung greift das Autorenteam ein Thema von höchster pädagogischer und gesamtgesellschaftlicher Dringlichkeit auf und geht einen weiteren Schritt in Richtung einer empirischen Erfassung und Beschreibung der Aufgaben und Leistungen der politischen Bildung. Als Datenbasis dienen die in der International Civic and Citizenship Education Study 2016 in 59 Schulen in Nordrhein-Westfalen erhobenen Daten. Ein wenig überraschendes Ergebnis der Studie besteht darin, dass es einen engen Zusammenhang zwischen Kenntnissen und Kompetenzen in politischer Bildung und Toleranz gibt. Bedeutsam wird dieser Befund vor allem aufgrund des in der Studie gefundenen negativen Zusammenhangs zwischen sozioökonomischem Status und politischer Bildung. Bedenkenswert ist außerdem die in der Studie aufgezeigte hohe Bedeutung des schulischen Sozialklimas für die gemessene Toleranz.

Als problematisch kann die wenig komplexe Erfassung der verschiedenen Versuche einer Definition des Toleranzbegriffs gesehen werden. Toleranz wird von Ziemes und Abs nur als eine Haltung verstanden, die marginalisierten Gruppen gleiche Rechte wie der Mehrheitsgesellschaft einräumt. Beiträge aus der Philosophie, die Toleranz als Bereitschaft verstehen, in politischen Konflikten dem jeweiligen Gegenüber auch bei weiterbestehenden Differenzen Respekt zu zollen, bleiben dabei außer Acht. Als Limitationen können außerdem genannt werden, dass die Befunde der Untersuchung nicht repräsentativ für die Gesamtheit aller Schülerinnen und Schüler in Deutschland sind und die querschnittliche Untersuchungsanlage keine Schlussfolgerungen auf kausale Wirkzusammenhänge zulässt. Dennoch liefern die Befunde einen Hinweis auf die bedeutsame Rolle von Schule und ihrem Umfeld für die Herausbildung von Toleranz.

Nachfolgende Reflexionsfragen sind ein Angebot, die Befunde der rezensierten Studie auf das eigene Handeln als Lehrkraft oder Schulleitungsmitglied zu beziehen und zu überlegen, inwiefern sich Anregungen für die eigene Handlungspraxis ergeben. Die Befunde der rezensierten Studien sind nicht immer generalisierbar, was z. B. in einer begrenzten Stichprobe begründet ist. Aber auch in diesen Fällen können die Ergebnisse interessante Hinweise liefern, um über die eigene pädagogische und schulentwicklerische Praxis zu reflektieren.

Reflexionsfragen für Lehrkräfte:

  • Wie kann politisch-historisches Wissen auch an den Stellen im Unterrichtsgeschehen thematisiert werden, die vordergründig nicht direkt mit Politik zu tun haben (z. B. Fragen nach der Biographie bestimmter Schriftstellerinnen oder Schriftsteller oder von Forscherinnen und Forschern)
  • Ist sichergestellt, dass das verwendete Unterrichtsmaterial, gerade auch das aus dem Internet bezogene, frei ist von Vorurteilen oder intoleranten Rollenzuschreibungen?
  • Wie kann das Klassenklima so gefördert werden, dass alle Schülerinnen und Schüler eine Chance haben, ihre Sichtweisen vorzutragen und zur Diskussion zu stellen?
  • Wird im Unterricht für Respekt, gegenseitige Fürsorge, Freundlichkeit, Fairness und Autonomie eingestanden? An welchen Punkten könnten diese Aspekte besser gefördert werden? 

Reflexionsfragen für Schulleitungen:

  • Wie kann politisches Wissen über verschiedene Fächer hinweg im Schulcurriculum verankert werden? Wird der politischen Bildung als Fach genügend Aufmerksamkeit geschenkt?
  • Sind Kommunikationswege implementiert, auf denen Lehrkräfte und Schülerinnen und Schüler Beobachtungen zu Diskriminierungen im Schulalltag niederschwellig an die Schulleitung oder Schulsozialarbeit weitergeben können?
  • Funktioniert das Unterstützungssystem, mit dem sozial benachteiligte Schülerinnen und Schüler gefördert werden können, und sind alle Lehrkräfte für das Sozialklima sensibilisiert?
  • Stehen Präventionsmaßnahmen gegen Diskriminierung zur Verfügung?
  • Welche Instrumente stehen zur Verfügung, um die Ansichten aller am Schulleben Beteiligten über das bestehende Schulklima zu erheben, so dass der Schulleitung und in der Folge auch dem Kollegium die Verbesserungsbedarfe sichtbar werden?
  • Welche konkreten Maßnahmen können mit vertretbarem Aufwand in die Wege geleitet werden, um die erkannten Verbesserungsbedarfe mit Blick auf das Schulklima umzusetzen?

Die Förderung von Toleranz gilt als eine der wichtigsten Aufgaben der Schule und insbesondere der demokratischen Bildung. So stellt die Kultusministerkonferenz in einer im Jahr 2018 neu gefassten Empfehlung zur Demokratiebildung fest:
„In einer Schule als Ort gelebter Demokratie werden die Würde des jeweils anderen großgeschrieben, Toleranz und Respekt gegenüber anderen Menschen und Meinungen geübt, Zivilcourage gestärkt, demokratische Verfahren und Regeln eingehalten und Konflikte gewaltfrei gelöst.“ (KMK, 2018, S. 4).

Intoleranz wird z. B. dort beobachtet, wo antisemitische und fremdenfeindliche Haltungen zu Gewalt führen.
Ziemes und Abs stellen am Anfang ihrer Studie zur Förderung von Toleranz die Dringlichkeit ihrer Fragestellung heraus, indem sie auf eine Analyse der Journalistin Carolin Emcke (2009) verweisen, die eine Zunahme des Hasses gegenüber Menschen beklagt, welche „als anders konstruiert und als minderwertig betrachtet werden.“ (Ziemes & Abs, 2020, S. 160). Damit ist auch bereits der Referenzbereich des in der Studie verwendeten Toleranzbegriffs erkennbar: Dieser wird als eine Seite des Gegensatzpaares Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit (Zick et al., 2008) vs. eine „… alle Menschen als gleichwertig anerkennende[n] Toleranz“ (Ziemes & Abs, 2020, S. 160) konstruiert. Folgerichtig wird der (im Folgenden erläuterten) empirischen Untersuchung eine Definition von Toleranz nach Sandoval-Hernández, Isac und Miranda (2018) zugrunde gelegt, nach der „Toleranz als positive Einstellung zu den Rechten marginalisierter Gruppen“ (Ziemes & Abs, 2020, S. 161) bestimmt wird. 

Die Autorin und der Autor sehen eine der Aufgaben der Schule darin, im Sinne dieses theoretischen Rahmens die Toleranz gegenüber Marginalisierten zu fördern. Erklärungsansätze für den schulischen Beitrag lieferten gemäß Grob (2007) beispielsweise Ansätze des Modelllernens und die Selbstdeterminationstheorie, nach der die Frustration der Grundbedürfnisse nach Autonomie, sozialer Bindung und Kompetenzerfahrung zu aggressiver Abwehr und Abwertung anderer führen könne. Zusätzlich ließen sich im Anschluss an Mutz (2002) die kognitive Ebene, bei der es um das Verständnis für die Perspektiven anderer gehe, unterscheiden von der affektiven Ebene, auf der die soziale Nähe zu Menschen mit anderen Perspektiven eingeübt werde.

Ziemes und Abs untersuchen, welche Faktoren dazu beitragen, dass Schülerinnen und Schüler tolerante Einstellungen entwickeln. Toleranz erfasst das Autorenteam dabei als die individuelle Einstellung gegenüber drei Bereichen:

  • Gleichberechtigung von Männern und Frauen, 
  • Rechte verschiedener Herkunftsgruppen,
  • Rechte von Migrantinnen und Migranten.

Für die Vorhersage der Effekte bestimmter schulischer Einflussfaktoren und Maßnahmen wurden das politische Wissen, das schulische Sozialklima und für dieses insbesondere der diskursive Unterrichtsstil verwendet, der es Schülerinnen und Schülern ermögliche, ihre Meinungen ohne Furcht vor Repressalien zu äußern und die Kontroversität von einzelnen Positionen zu erkennen, so dass die Prinzipien des Beutelsbacher Konsenses in besonderer Weise gefördert würden. Ferner wurde der Einfluss des Geschlechts, des Migrationsstatus der Schülerinnen und Schüler sowie ihr sozioökonomischer Status herangezogen. Diese Faktoren wurden nach theoretischen Überlegungen und unter Einbezug bisheriger empirischer Befunde in die Analyse aufgenommen. In einem weiteren Abschnitt stellen die Autorin und der Autor die Ergebnisse ihrer Studie vor; diese Ergebnisse werden weiter unten zusammengefasst. 

Die Fragestellung wurde anhand der Daten der International Civic and Citizenship Education Study 2016 (ICCS 2016) untersucht. Im Rahmen dieser Studie wurden Daten über das politische Wissen sowie Einstellungen und Werte der Schülerinnen und Schüler erhoben. Insgesamt nahmen Schülerinnen und Schüler aus 24 Bildungssystemen in verschiedenen Ländern teil. Für die Untersuchung der Fragestellung wurden ausschließlich die in Deutschland erhobenen Daten verwendet. In Deutschland nahmen 1.451 Schülerinnen und Schüler der 8. Klasse an 59 Schulen teil. Dabei handelte es sich um Hauptschulen, Realschulen, Gesamtschulen und Gymnasien. Die Stichprobe wurde im Text hinsichtlich erfasster Personenvariablen ausführlich beschrieben. 

Von Februar bis Juli 2016 wurde die Haupterhebung in Papierform an den Schulen durchgeführt. Die Toleranz der Schülerinnen und Schüler wurde über die Einstellungen zur Gleichberechtigung von Männern und Frauen, den Rechten von Migrantinnen und Migranten sowie von Menschen verschiedener Herkunftsgruppen erfasst. Außerdem wurden das politische Wissen, die Diskursivität des Unterrichts (Unterrichtsklima: Unterrichtsgestaltung durch die Lehrkräfte, Beiträge von Schülerinnen und Schülern) und das schulische Sozialklima erfragt. Die Schülerinnen und Schüler gaben zusätzlich Informationen zu ihrem Geschlecht, sozioökonomischen Status und Migrationshintergrund an.

Um zu untersuchen, welche schulischen Faktoren für die Herausbildung von Toleranz geeignet sein könnten, wurde überprüft, wie die Faktoren politisches Wissen, Diskursivität des Unterrichts, Sozialklima, Migrationshintergrund, Geschlecht und sozioökonomischer Status mit der Toleranz zusammenhängen und sie beeinflussen. Außerdem wurde überprüft, inwiefern die einzelnen Faktoren miteinander zusammenhängen und sich gegenseitig beeinflussen. Hierfür wurde ein Strukturgleichungsmodell berechnet. Das berechnete Modell ist im Text in Form einer Abbildung (Abb. 1, S. 167) zu finden.

In einem ersten Untersuchungsschritt wurden deskriptive und schulformspezifische Analysen durchgeführt. Es zeigt sich, dass:

  • Schülerinnen und Schüler an Gymnasien durchschnittlich toleranter sind als an anderen Schulformen,
  • Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund durchschnittlich einen niedrigeren sozioökonomischen Status aufweisen und den Unterricht weniger diskursiv sowie das Sozialklima weniger positiv erleben,
  • die Wahrnehmung der Diskursivität mit dem Sozialklima zusammenhängt,
  • die Toleranz mit den schulischen Bedingungen zusammenhängt (politisches Wissen, Diskursivität, schulisches Sozialklima).

Im nächsten Schritt wurde das Strukturgleichungsmodell berechnet, um die Zusammenhänge aller Faktoren zu betrachten. Mit dem Modell wurde berechnet, inwieweit die verschiedenen Faktoren die Toleranz vorhersagen können. Die Ergebnisse zeigen, dass: 

  • Mädchen signifikant toleranter sind als Jungen,
  • Schülerinnen und Schüler mit einem hohen sozioökonomischen Status signifikant etwas toleranter sind als Schülerinnen und Schüler mit einem niedrigen sozioökonomischen Status,
  • der Migrationshintergrund die Toleranz nicht beeinflusst,
  • das politische Wissen, diskursiver Unterricht und das Sozialklima die Toleranz positiv beeinflussen,
  • das politische Wissen, gefolgt vom Geschlecht, den stärksten Einfluss auf die Toleranz hat,
  • die Diskursivität des Unterrichts das politische Wissen und die Toleranz der Schülerinnen und Schüler beeinflusst,
  • das Sozialklima die Toleranz beeinflusst.

Insgesamt erklären die Faktoren 52,4 % der Varianz der Toleranz. Dies weist auf eine hohe Bedeutsamkeit der Faktoren für die Herausbildung der Toleranz bei Schülerinnen und Schülern hin. 

Hintergrund
Ziemes und Abs (2020) beziehen in dem hier zusammengefassten Artikel unterschiedliche schulische Bedingungen theoretisch und empirisch auf Toleranz. Im Rahmen der theoretischen Untersuchung ist zu diskutieren, dass für den Begriff der Toleranz stark divergierende und letztlich unvereinbare Definitionen vorliegen. Die Autorin und der Autor definieren den ihrer Studie zugrunde gelegten Begriff der Toleranz als „positive Einstellung zu den Rechten marginalisierter Gruppen“ (Ziemes & Abs, 2020, S. 161). Sie grenzen ihn explizit gegen konkurrierende Definitionen und Verwendungsweisen des Toleranzbegriffs ab, die Toleranz als eine Haltung gegenüber politisch Andersdenkenden verstehen (Ziemes & Abs, 2020, S. 161).

Einflussreiche philosophische Studien erachten jedoch den Begriff der Toleranz nur dort für sinnvoll, wo eine Komponente der Ablehnung gegeben ist (Forst, 2003; Scanlon 2003). Von Toleranz, so Rainer Forst, könne man nur sprechen, wo eine bestimmte Position zwar abgelehnt wird, ihre Vertreter aber dennoch als respektable Mitglieder der Gesellschaft angesehen werden; die Toleranz spielt ihre Wirkung im Konflikt dann in fruchtbarer Weise aus, wenn die Kontrahenten ihren Streit auf die Frage der Rechtfertigung ihrer jeweiligen Ansprüche konzentrieren (vgl. z. B. Forst, 2003, S. 588–596). Auch der Philosoph Scanlon sieht den sozialen Ort der Toleranz v. a. in politischen Konflikten (Scanlon, 2003).

Der Beitrag von Ziemes und Abs ist zwar ein pädagogischer und kein philosophischer, aber die philosophische Begriffsbestimmung schlägt dennoch entscheidend auch auf die in dem Aufsatz behandelten pädagogischen Fragen durch. Der von Ziemes und Abs favorisierte Ansatz sieht sich mit dem Paradox konfrontiert, dass eine Person, die Minderheiten achtet, aber gewalttätig gegen politische Gegner vorgeht, als tolerant gelten müsste. Vor einer Implementierung eines Toleranzkonzepts im Unterricht müssten solche Unstimmigkeiten geklärt sein. Der Unterschied beider Konzeptionen wird auch bei der Haltung gegenüber religiösen oder ethnischen Minderheiten greifbar, also ausgerechnet bei einem Thema, das für die pädagogische Debatte besonders wichtig ist.

Mit dem Toleranzbegriff der Philosophen Forst (2003) und Scanlon (2003) lassen sich v. a. pädagogische Interventionen begründen, die Respekt in politischen Auseinandersetzungen fördern. Die von Ziemes und Abs (2020) angeführte und ihrer Argumentation zugrunde gelegte Literatur orientiert sich nur z. T. an dem von ihnen selbst favorisierten Toleranzkonzept. So beziehen sie sich für die „Unterscheidung von kognitiven und affektiven Mechanismen, die zur Steigerung von Toleranz beitragen“, (Ziemes & Abs, 2020, S. 161) auf Mutz (2002), die aber eindeutig den konfliktorientierten, auf politische Auseinandersetzungen bezogenen Toleranzbegriff verwendet. Es ist also fraglich, ob die Studie von Mutz (2002) zur theoretischen Erhellung einer Untersuchung herangezogen werden kann, die mit einem völlig anders gelagerten Toleranzkonzept arbeitet. Aus diesen Beobachtungen ist zu schließen, dass weitere theoretische Arbeiten nötig sind, um die Konturen eines pädagogischen Toleranzbegriffs zu bestimmen.

Die Untersuchung der Toleranzentwicklung im Rahmen der schulischen Bedingungen basiert auf theoretischen Vorannahmen und bisherigen Forschungsbefunden. So wurden für den Einbezug der einzelnen Faktoren als Prädiktoren für die Toleranz jeweils theoretische Überlegungen angestellt und empirische Befunde herangezogen, die die Verwendung begründen konnten. 

Die empirische Untersuchung der Fragestellung, welche schulischen Rahmenbedingungen einen Einfluss auf die Toleranz der Schülerinnen und Schüler haben, ist von höchster pädagogischer und gesamtgesellschaftlicher Bedeutung. Der Einbezug individueller (sozioökonomischer Status, Migrationshintergrund, Geschlecht) sowie schul- und klassenübergreifender Faktoren (Sozialklima, Unterrichtsklima) stellt ein umfassendes Bild der schulischen Rahmenbedingungen dar. Mit dem gleichzeitigen Einbezug aller Faktoren und der zusätzlichen Untersuchung der Wechselwirkung zwischen den Faktoren schafft das Autorenteam eine umfassende Untersuchung des Einflusses der schulischen Rahmenbedingungen auf die Toleranz. Die daraus resultierende empirische Erfassung und Beschreibung von Aufgaben und Leistungen der politischen Bildung sind von hoher Relevanz für die Bildungspraxis.

Design
Das Studiendesign wird in dem vorliegenden Artikel nicht detailliert beschrieben. Nähere Informationen zu der Stichprobe, der Datenerhebung, -aufbereitung und -auswertung können in der umfassenden englischsprachigen Originalstudie (Schulz et al., 2017) oder einem deutschen Bericht der Ergebnisse für Nordrhein-Westfalen (Abs & Hahn-Laudenberg, 2017) nachgelesen werden.

Im Rahmen der Stichprobenbeschreibung wurden die Stichprobenauswahl und die Gewichtung zur Berechnung der Werte knapp erläutert. Die Stichprobe der Studie besteht aus nur einem Drittel der intendierten Stichprobe. Ziemes und Abs gehen aufgrund der Art der Stichprobenerhebung (stratifizierte mehrstufige Klumpenstichprobe) zwar von keinem systematischen Fehlen bestimmter Schulen aus, dennoch ist es durch die freiwillige Teilnahme möglich, dass Schülerinnen und Schüler oder deren Schulen aufgrund verschiedener Ursachen von einer Studienteilnahme absahen.

Die Ergebnisse sind daher nicht repräsentativ für die Gesamtheit aller Schülerinnen und Schüler der 8. Klasse in Deutschland. Nach Ziemes und Abs sind durch die Gewichtung der Stichprobe jedoch Schlüsse auf die Schülerinnen und Schüler der 8. Klasse entsprechender Schulformen (Haupt-, Real-, Gesamtschulen, Gymnasien) in Nordrhein-Westfalen möglich.

Die statistischen Analysen werden wenig detailliert beschrieben. Informationen zur Spezifikation des Strukturgleichungsmodells können der Abbildung 1 entnommen werden. Sie werden allerdings nicht im Text erläutert. Die zentralen Ergebnisse des Strukturgleichungsmodells werden im Ergebnisteil und der Diskussion beschrieben.

Ergebnisse
Die Untersuchung greift die Frage nach der Rolle der Schule für die Herausbildung von Toleranz bei Schülerinnen und Schülern auf. Für die Forschungsfrage, welche schulischen Bedingungen geeignet sind, um Toleranz zu fördern, liefert die Untersuchung Erkenntnisse und Schlussfolgerungen: Dass insgesamt ein großer Anteil der Varianz der Toleranz durch die betrachteten Faktoren erklärt werden konnte, weist auf die zentrale Rolle des schulischen Umfelds für die Herausbildung von Toleranz bei Schülerinnen und Schülern hin. Gleichzeitig scheinen auch individuelle Einflussfaktoren wie das Geschlecht oder der in dieser Studie negativ mit dem Migrationshintergrund zusammenhängende sozioökonomische Status einen Einfluss auf die Toleranz bzw. das politische Wissen zu haben.

Einerseits trägt zwar das politische Wissen zu einem großen Teil zur Toleranz bei, andererseits beeinflussen auch das Sozialklima und die Diskursivität des Unterrichts die Toleranz. Kritisch ist dabei, dass Schülerinnen und Schüler mit einem niedrigeren sozioökonomischen Status einen schlechteren Zugang zu den Voraussetzungen haben, die für die Entwicklung von Toleranz relevant sind. Insgesamt sind bei der Bewertung der Ergebnisse jedoch die Unklarheiten bei der theoretischen Bestimmung des Toleranzbegriffs in Rechnung zu stellen und auch einige methodische Limitationen zu beachten.

Einerseits wurden zentrale Variablen, die die gefundenen Zusammenhänge beeinflussen können, nicht miterfasst und bei den Berechnungen berücksichtigt (z. B. Perspektivenübernahme und die Befriedigung psychologischer Grundbedürfnisse). Andererseits kann hier keine Aussage darüber getroffen werden, ob nicht nur das politische Wissen die Toleranz beeinflusst, sondern auch das politische Wissen durch tolerante Einstellungen beeinflusst wird. 

Die Ergebnisse weisen auf verschiedene Bedingungen hin, die für die Herausbildung der Toleranz relevant und auch durch das Mitwirken der Schule beeinflussbar sind. Besonders praxisrelevant zeigten sich die Ergebnisse hinsichtlich des Einflusses des politischen Wissens auf die Toleranz und des Zusammenhangs mit der Diskursivität des Unterrichts und dem Sozialklima. Hier kann hinterfragt werden, ob der politischen Bildung in der Schule eine angemessene Rolle zukommt. Da die Toleranz und das politische Wissen von der Diskursivität des Unterrichts und dem Sozialklima abhängen, können ein diskursiver Politikunterricht und eine soziale Nähe und Offenheit allen Schülerinnen und Schülern gegenüber die Toleranz positiv beeinflussen.

Lehrkräfte haben hier beispielsweise die Möglichkeit, sich über Präventionsmaßnahmen oder ihre Vorbildfunktion für die soziale Eingebundenheit der Schülerinnen und Schüler einzusetzen. Insgesamt können diese Erkenntnisse in Politik und Praxis dafür genutzt werden, die Methoden zur Förderung des Sozialklimas in Schulen weiterzuentwickeln und verbreiten. 

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Diese Rezension wurde erstellt von:
Hofmann, E. & Bechthold-Hengelhaupt, T.,

- Emely Hofmann, M. Sc., (IBBW), wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Hochschule Reutlingen
- Dr. Tilman Bechthold-Hengelhaupt, Graf-Zeppelin-Gymnasium Friedrichshafen und ZSL Regionalstelle Tübingen

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