Fragestellungen der Studie:
Rezension zur Studie
Hillebrand, A., Webs, T., Kamarianakis, E., Holtappels, H. G., Bremm, N. & van Ackeren, I. (2017). Schulnetzwerke als Strategie der Schulentwicklung: Zur datengestützten Netzwerkzusammenstellung von Schulen in sozialräumlich deprivierter Lage. Journal for educational research online, 9(1), 118–143.FIS BildungSchulische Kontextbedingungen und die damit verbundene Schülerkomposition beeinflussen den Bildungserfolg von Schülerinnen und Schülern, das belegen regelmäßig die Ergebnisse großer Schulleistungsstudien. Daher müssen insbesondere Schulen in weniger privilegierter Lage ungünstige Umstände zunächst kompensieren. Als bedeutsam für eine erfolgreiche Kompensation und darauf aufbauende gute Schülerleistungen gelten bestimmte Merkmale auf Schul- und Unterrichtsebene, beispielsweise Schulklima, Lehrerkooperation und externe Unterstützungsstrukturen wie die Vernetzung mit anderen Schulen. Dabei ist die Effizienz einer Vernetzung u. a. abhängig vom Vernetzungsanlass, weshalb Schulnetzwerke auf Grundlage von konkreten Stärken und Schwächen der jeweiligen Schulen gebildet werden sollten.
Hillebrand et al. untersuchen im Rahmen des Projektes Potenziale entwickeln – Schulen stärken, inwiefern es mithilfe eines statistischen Analyseverfahrens gelingt, Netzwerke zu bilden, die ähnliche Ausgangsbedingungen und Vernetzungsanlässe aufweisen. Hierfür wurden Fragebogenangaben zu schulisch relevanten Bedingungen von 1.105 Lehrkräften, 2.146 Eltern und 3.183 Lernenden aus 35 Schulen im Rahmen einer latenten Profilanalyse ausgewertet. Die Analyseergebnisse wurden zudem genutzt, um Themen für die Netzwerkarbeit abzuleiten.
Das Autorenteam identifiziert drei abgrenzbare Entwicklungsprofile mit charakteristisch ausgeprägten Input-, Prozess- und Outputmerkmalen, auf deren Grundlage sich evidenzorientiert spezifische Vernetzungsanlässe, d. h. Themenschwerpunkte und Ziele für die Netzwerkarbeit, formulieren lassen. Anhand der Schülerkomposition wurden die den einzelnen Profilen zugeordneten Schulen in jeweils zwei Untergruppen mit vergleichbaren Ausgangsbedingungen aufgeteilt, um zu große Netzwerke zu vermeiden.
Wenngleich die Untersuchung bei der Netzwerkzusammenstellung multikriterial vorgeht, bleiben einzelne methodische Aspekte teilweise offen beziehungsweise inspirieren zu etwaigen Folgeforschungen.
Schlussendlich ist dieser datengestützte, überregionale und schulartübergreifende Zusammenschluss von Schulen sowohl aufgrund eines erhöhten Anregungspotenzials für die Netzwerkarbeit als auch aufgrund geringer Konkurrenzsituationen als gewinnbringend einzuschätzen.
Nachfolgende Reflexionsfragen sind ein Angebot, die Befunde der rezensierten Studie auf das eigene Handeln als Lehrkraft oder Schulleitungsmitglied zu beziehen und zu überlegen, inwiefern sich Anregungen für die eigene Handlungspraxis ergeben. Die Befunde der rezensierten Studien sind nicht immer generalisierbar, was z. B. in einer begrenzten Stichprobe begründet ist. Aber auch in diesen Fällen können die Ergebnisse interessante Hinweise liefern, um über die eigene pädagogische und schulentwicklerische Praxis zu reflektieren.
Reflexionsfragen für Lehrkräfte:
Reflexionsfragen für Schulleitungen:
Zu Beginn ihres Beitrags stellen Hillebrand et al. den Bedeutungszuwachs der schulischen Netzwerkarbeit in den vergangenen Jahren heraus und betonen hierbei insbesondere die Möglichkeiten, die sich daraus für Schulen in sozialräumlich deprivierter Lage ergeben könnten. Schulnetzwerke sind soziale Netzwerke, in denen intentional und geplant organisationale Problemfelder aufgegriffen und vernetzt angegangen werden, wobei die schulische Qualitätssicherung im Fokus steht. Nach Czerwanski (2003) können Netzwerke Schulentwicklungsprozesse fördern und dadurch positiv sowohl auf den Unterricht als auch auf das Schulleben wirken. Durch die Arbeit in Netzwerken sollen Synergien genutzt und die Entwicklungsarbeit vorangetrieben werden. Vor allem für Schulen in weniger privilegierter Lage sei dies bedeutsam, um dem Bildungs- und Erziehungsauftrag trotz besonderer pädagogischer Herausforderungen gerecht werden zu können. Dies zeige sich auch in den Ergebnisberichten großer Schulleistungsvergleichsstudien (z. B. Bos, Wendt, Köller & Selter, 2012), wonach schulische Kontextvariablen und damit verbundene Merkmale der Schülerschaft bedeutsam für den Bildungserfolg von Schülerinnen und Schülern seien.
Das Autorenteam benennt darüber hinaus einige Voraussetzungen auf Netzwerkebene (u. a. klare Zielsetzungen, Konsens über Arbeitsschwerpunkte, Verantwortungsaufteilung, erkennbarer Nutzen, gegenseitige Wertschätzung) und einzelschulischer Ebene (u. a. Akzeptanz des Kollegiums, Unterstützung durch die Schulleitung, Einrichtung von Arbeitsgruppen, Passung zwischen Bedarfen und Netzwerkaktivitäten), die für eine erfolgreiche Netzwerkarbeit bedeutsam sein könnten. Forschungsergebnisse von Otto, Sendzik, Järvinnen, Berkemeyer und Bos (2015) deuteten hierbei auch auf die Bedeutsamkeit der Zusammenstellung von Netzwerken hin, da sich zu große Unterschiede und mangelnde Gemeinsamkeiten kontraproduktiv auswirkten.
Infolgedessen wird in der Studie auf Grundlage einer Befragung von Schülerinnen und Schülern, Eltern und Lehrkräften zu Kontextbedingungen sowie Qualitätsmerkmalen auf Schul- und Unterrichtsebene folgenden zwei Fragestellungen nachgegangen (Hillebrand et al., 2017, S. 126):
Stichprobe:
Im Projekt Potenziale entwickeln – Schulen stärken nahmen insgesamt 36 weiterführende Schulen in der Metropole Ruhr teil, die einerseits schwierige Standortbedingungen aufwiesen und andererseits Schulentwicklungsprozesse angehen wollten.
An der Eingangsbefragung für die Netzwerkzusammenstellung wurden an diesen Schulen Angaben von Lehrkräften (n = 1.105), Schülerinnen und Schülern der 6. und 8. Klasse (n = 3.183) und deren Eltern (n = 2.146) erhoben. Aufgrund eines zu geringen Rücklaufs der Lehrkräftefragebögen wurde eine Schule aus der Analyse ausgeschlossen. Somit wurden die Daten von 35 Schulen (13 Gymnasien, 6 Hauptschulen, 5 Realschulen und 11 Gesamtschulen) zur Analyse und interschulischen Vernetzung herangezogen.
Instrument: Fragebogenerhebung
Ausgehend von aktuellen Forschungserkenntnissen zu effektiven Schulen in herausfordernder Lage wurden 15 Gestaltungsmerkmale auf Schul- und Unterrichtsebene ausgewählt, anhand derer Schulgruppen mit ähnlichen Entwicklungsprofilen gebildet wurden. Die 15 Gestaltungsmerkmale wurden zu 4 Clustern (Arbeits- und Schulklima, Lehrergesundheit, Schulentwicklungsarbeit und Unterrichtsqualität) zusammengefasst.
Die abgefragten Items umfassen folgende Bereiche, die die Perspektive der Lehrkräfte (L), Eltern (E) sowie der Schülerinnen und Schüler (S) wiedergeben:
Arbeits- und Schulklima:
Lehrergesundheit:
Schulentwicklungsarbeit:
Unterrichtsqualität:
Zusätzlich wurden sowohl der Sozialindex (ermöglicht faire Vergleiche) als auch 11 Variablen zur Schülerkomposition (d. h. Zusammensetzung der Schulklassen), zu schulischer Prozessqualität sowie zur Einstellung und Überzeugung der Schülerinnen und Schüler hinzugezogen, um die identifizierten Entwicklungsprofile näher zu beschreiben.
Die abgefragten Items umfassen folgende Bereiche:
Input:
Prozess:
Output:
Alle verwendeten Skalen wiesen eine akzeptable oder gute Reliabilität (α ≥ .61) auf.
Auswertungsverfahren: Latente Profilanalysen
Um die Anzahl der Gruppen festzulegen, werden bei der latenten Profilanalyse verschiedene statistische Berechnungen durchgeführt. Die Ergebnisse werden aufgrund spezifischer Kennwerte interpretiert (Nylund-Gibson & Choi, 2018):
Diese Kennwerte können bei der Bestimmung der Gruppenanzahl in einer latenten Profilanalyse helfen. Häufig gibt es allerdings keine eindeutigen Gruppenanzahlen. Neben diesen Werten können aber auch inhaltliche Überlegungen für die Bestimmung der Anzahl der Gruppen eine Rolle spielen.
Mithilfe von latenten Profilanalysen wurden in der Studie von Hillebrand et al. Schulgruppen mit ähnlichen Entwicklungsprofilen identifiziert. Das Ziel der Profilanalysen war die Klassifizierung der Schulen anhand der 15 Gestaltungsmerkmale, sodass die Variablenausprägungen innerhalb der Gruppen möglichst homogen und zwischen den Gruppen möglichst heterogen sind (Geiser, 2011).
Hillebrand et al. interpretieren die Ergebnisse der latenten Profilanalyse mit einer Vier-Klassen-Lösung (vier Schulnetzwerkgruppen), auch wenn die Ergebnisse der statistischen Berechnungen eher für eine Drei-Klassen-Lösung sprechen. Diese Entscheidung wurde „aus inhaltlichen Gründen der Interpretierbarkeit und Plausibilität“ (Hillebrand et al., 2017, S. 133) getroffen und wird vom Autorenteam nicht näher erläutert. Diese vier Gruppen werden für die weiteren Auswertungen herangezogen. Um einzelne Werte mit den Gesamtmittelwerten vergleichen und interpretieren zu können, werden in der Ergebnisdarstellung die verschiedenen Skalen als z-Werte dargestellt (M = 0; SD = 1). Dabei ist M der Mittelwert aller Schulen bei der jeweiligen Variable, sodass die Ergebnisse leicht als unter- bzw. überdurchschnittlich beschrieben werden können.
Im Folgenden werden die vier identifizierten Schulgruppen (latente Klassen) anhand ihrer Entwicklungsprofile näher dargestellt.
Entwicklungsprofil 1 (3 Gymnasien, 4 Realschulen, 2 Gesamtschulen):
Schulen, die dem Entwicklungsprofil 1 zugeordnet sind, kennzeichnen sich durch leicht überdurchschnittliche Werte aus in den Bereichen Schüler-Lehrer-Beziehung (aus Sicht der Schülerinnen und Schüler), Lehrergesundheit und Kooperation zwischen Schule und Elternhaus.
Unterdurchschnittliche Werte im Vergleich zu den anderen untersuchten Schulen werden in den Bereichen Arbeitsklima, Teamarbeit und leistungsbezogene Differenzierung im Unterricht erreicht, wobei die sonstigen Items im Bereich Unterrichtsqualität aus Schülersicht überdurchschnittliche Werte aufweisen.
Bezüglich der weiteren Beschreibungsmerkmale finden sich im Entwicklungsprofil 1 Schwächen bzw. unterdurchschnittliche Werte hinsichtlich der Intensität der Schulentwicklungsaktivitäten sowie des unterrichtsbezogenen Schulleitungshandelns und weiterer Kooperationsformen (Austausch, Arbeitsteilung und Kokonstruktion).
Als Themenschwerpunkt für die Netzwerkarbeit ergibt sich für diese Schulen die Lehrerkooperation in Bezug auf Individualisierung in heterogenen Lerngruppen (ebd., S. 134).
Entwicklungsprofil 2 (8 Gymnasien, 1 Realschule, 1 Gesamtschule):
Bei Schulen, die dem Entwicklungsprofil 2 zugeordnet sind, fällt eine unterdurchschnittliche Ausprägung der Items zur Unterrichtsqualität auf, neben einer hohen zeitlichen Belastung der Lehrkräfte bei einer gleichzeitig durchschnittlichen emotionalen Erschöpfung. Weitere Bereiche, die unterdurchschnittlich bewertet werden, sind die Lehrer-Schüler-Beziehung (aus Sicht der Schülerinnen und Schüler) sowie die defizitorientierte Haltung gegenüber der Heterogenität der Schülerschaft. Mit Blick auf die z-Werte im Bereich der Input-Variablen fällt auf, dass diese mit Ausnahme des Anteils von Kindern mit Migrationshintergrund überdurchschnittlich ausfallen (z. B. Kinder mit deutscher Umgangssprache zu Hause, Eltern mit Abitur), wohingegen alle Kooperationsformen (Prozess-Variablen) unterdurchschnittlich bewertet sind.
Daraus folgend ergibt sich für die Schulen dieser Netzwerkgruppe das Schwerpunktthema Kooperative Unterrichtsentwicklung (ebd., S. 136).
Entwicklungsprofil 3 (1 Gymnasium, 6 Hauptschulen, 7 Gesamtschulen):
Schulen, die dem Entwicklungsprofil 3 zugeordnet sind, kennzeichnen sich durch die „ressourcenärmste soziokulturelle“ (ebd., S. 136) Schülerschaft aus. Wenngleich diese Input-Variablen auf schwierige Rahmenbedingungen hindeuten, fällt die zeitliche Belastung der Lehrkräfte vergleichsweise gering, die Teamarbeit und Unterrichtsqualität hingegen überdurchschnittlich aus. Schülerinnen und Schüler fühlen sich an diesen Schulen am wenigsten wohl, wobei sich Lehrkräfte (mehr) Kooperation zwischen Elternhaus und Schule wünschen.
Ausgehend von einer eher defizitorientierten Einstellung der Lehrkräfte gegenüber ihrer Schülerschaft ergibt sich der Themenschwerpunkt Ressourcennutzung (ebd., S. 136) für diese Netzwerkgruppe.
Entwicklungsprofil 4 (1 Gymnasium, 1 Gesamtschule):
Aufgrund der geringen Anzahl von lediglich zwei Schulen, die diesem Profil zugeordnet werden können, ordnet das Autorenteam diese Schulen dem Entwicklungsprofil 2 zu. Hier liegt der Entwicklungsschwerpunkt im Bereich der Unterrichtsqualität, was auch den Entwicklungsbedarfen der beiden Schulen entspricht.
Endgültige Netzwerkzusammenstellung und Beantwortung der Forschungsfragen
Ergänzend zu der Formulierung der oben genannten Entwicklungsprofile (Ergebnis der latenten Profilanalyse) werden in einem weiteren Schritt die Schülerkompositionen näher betrachtet. Um zu große Netzwerkgruppen zu vermeiden, werden die Schulen innerhalb jedes Entwicklungsprofils anhand ihrer Schülerschaft verglichen und in je zwei Untergruppen halbiert. In der Folge entstehen insgesamt sechs Netzwerkgruppen (je zwei mit gleichem Entwicklungsprofil) mit jeweils fünf bis sieben Einzelschulen. Statistisch wird diese Gruppenhalbierung mithilfe eines Mediansplits des Sozialindex vorgenommen.
Ausgehend von diesen Ergebnissen beantworten die Autorinnen und der Autor die Forschungsfragen folgendermaßen:
Folglich können mit dem praktizierten Verfahren systematische Unterschiede identifiziert und inhaltlich für die Netzwerkbildung und die Themenfindung genutzt werden.
Hintergrund
Hillebrand et al. kommen mit ihrer Studie der aktuellen bildungspolitischen Forderung nach mehr Evidenzorientierung in der Schulpraxis nach (Bromme, Prenzel & Jäger, 2016). Mit dem Projekt Potenziale entwickeln – Schulen stärken soll ein Beitrag zum derzeitigen Schulentwicklungsdiskurs geleistet werden. Darüber hinaus wird die wissenschaftliche Begleitung und Beratung von Schulen in herausforderndem Umfeld in den Fokus genommen. Hierdurch sollen die Qualität und Wirksamkeit ebendieser Schulen erhöht und die pädagogische Arbeit professionalisiert werden.
Der entwickelte Drei-Schritt zur Netzwerkzusammenstellung (Auswahl relevanter Merkmale, latente Profilanalyse zur Identifizierung von Entwicklungsprofilen, Differenzierung und Validierung der Profile anhand weiterer Kontext-/Input-, Prozess- und Outputvariablen) erscheint mit Blick auf den aktuellen Forschungsstand sowohl theoretisch fundiert als auch praxistauglich. Dies zeigt sich in einer realen Zusammenstellung und Beratung von Netzwerkgruppen in der Metropole Ruhr. Hierbei wird vor allem der Forderung Rechnung getragen, dass Netzwerke nicht – wie in anderen Projekten oftmals – lediglich aufgrund räumlicher Nähe und ähnlichen Zielen, sondern vielmehr evidenzbasiert zusammengestellt werden sollten. In der rezensierten Studie wird entsprechend darauf geachtet, sowohl schulische Kontextvariablen als auch Entwicklungsbedarfe überregional und schulformübergreifend einzubeziehen.
Design
Die Herleitung und Formulierung der zugrunde gelegten Forschungsfragen geschieht ausführlich und theoriegeleitet, wenngleich die Formulierung möglicher Hypothesen nicht geleistet wird. Bei der Erstellung der quantitativen Fragebögen greift das Autorenteam auf Skalen und Indizes zurück, die über eine akzeptable Reliabilität verfügen, und zeigt hier große Transparenz in der Dokumentation (u. a. Beispielitem, Cronbachs Alpha, Quelle der Skala). Trotz des mageren Forschungsstandes bezüglich Schulentwicklungsprozessen und Effektivität an Schulen in herausfordernder Lage wird die inhaltliche Auswahl der Items sehr ausführlich und forschungsbasiert (u. a. Racherbäumer et al., 2013) begründet. Hierbei wurde zudem darauf geachtet, Merkmale auf der Institutions- und Interaktionsebene (Schulqualität nach Ditton, 2000) zu berücksichtigen und verschiedene Beteiligte zu befragen. Schulqualität wird entsprechend nicht auf die schulische Effektivität (Output) reduziert, sondern vielschichtiger betrachtet. Schulleitungen wurden nicht berücksichtigt, da für die Auswertungsmethode der latenten Profilanalyse größere Stichproben empfohlen werden (Nylund-Gibson & Choi, 2018), als in diesem Fall vorliegen. Die Größen der Stichproben der befragten Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte und Eltern liegen allesamt über diesen Empfehlungen. Interessant wäre für zukünftige Forschungen eine Kombination aus einer latenten Profilanalyse mit einer qualitativen Schulleitungsbefragung, um die Rolle der Schulleitungen zu beleuchten.
Bezüglich der Item-Auswahl bleibt teilweise unklar, weshalb die Befragung der Lehrkräfte relativ stark und die Befragung der Eltern sehr gering gewichtet wurde. Von insgesamt 26 Items wurden 16 Items von den Lehrkräften und lediglich zwei Items von den Eltern beantwortet. Dies erscheint vor allem mit Blick auf eine mögliche Unterschiedlichkeit der wahrgenommenen Entwicklungsbedarfe von internen (Lehrkräfte) und externen (Eltern) Akteurinnen und Akteuren bedeutsam.
Mit Blick auf die Interpretierbarkeit der Daten wird transparent vorgegangen, indem die einzelnen Rücklaufquoten benannt werden bzw. Daten ausgeschlossen werden, die nicht durch eine ausreichende Quote gestützt sind.
Das Autorenteam verweist darauf, dass die Ergebnisse lediglich Aussagen zwischen den beteiligten Schulen zulassen und nicht repräsentativ auf die Grundgesamtheit aller Schulen in der Metropole Ruhr übertragen werden dürfen. Um eine mögliche Positivauswahl bei der Stichprobenauswahl zu erkennen bzw. auszuschließen, wäre eine Beschreibung bezüglich der Auswahl der Projektschulen hilfreich.
Eine latente Profilanalyse beinhaltet häufig einen gewissen Interpretationsspielraum. Auch in der rezensierten Studie sind die Testergebnisse nicht eindeutig. So haben sich Hillebrand et al. aufgrund inhaltlicher Überlegungen auf vier Gruppen festgelegt, obwohl der Bootstrap-Likelihood-Ratio-Difference-Test keine signifikante Verbesserung gegenüber der Drei-Klassen-Lösung anzeigte und das Bayesian Information Criterion (BIC) eher eine Zwei- oder Drei-Klassen-Lösung nahelegte. Dafür zeigte das Akaike Information Criterion (AIC) die Vier-Klassen-Lösung als bestmögliche Lösung an. Hillebrand et al. haben die vierte Gruppe ohne eindeutiges Profil pragmatisch aufgrund inhaltlicher Überlegungen für die Zuordnung zu spezifischen Netzwerken umsortiert. Interessant zu wissen wäre, ob die vierte Gruppe ohne spezifisches Profil in einer durchaus statistisch begründbaren Drei-Klassen-Lösung besser untergebracht gewesen wäre. Alternative Auswertungsverfahren (z. B. Clusteranalysen) werden nicht thematisiert.
Durch die z-Standardisierung der abhängigen Variablen werden eine vergleichsweise einfache Lesbarkeit, Auswertung und Interpretation ermöglicht, wenngleich durch die verkürzte graphische Darstellung teilweise Aussagen beispielsweise über Ausreißer (vor allem beim Entwicklungsprofil 4, das schlussendlich dem Profil 2 zugeordnet wurde) erschwert werden.
Ergebnisse
In der Studie werden die gestellten Forschungsfragen in vollem Umfang beantwortet, wobei eine ausführlichere Erläuterung bezüglich der formulierten Themen für die Netzwerkarbeit wünschenswert wäre. Die Themen werden jeweils mit einem Stichwort (z. B. „Ressourcennutzung“) benannt, wobei unklar bleibt, was einerseits konkret darunter zu verstehen ist und wie andererseits die Festlegung des Themas, ausgehend von den Erhebungsdaten, gestaltet wurde.
Die evidenzbasierte Netzwerkzusammenstellung über verschiedene Regionen und Schulformen hinweg ermöglicht gegenüber herkömmlichen Schulnetzwerken ein hohes Anregungspotenzial und vermeidet gleichzeitig Konkurrenzsituationen. Mit Blick auf den Anspruch der personalen Anwesenheit kann die großräumige Verteilung wiederum zu einer höheren zeitlichen Belastung der Lehrkräfte führen. Hierbei gilt es, Vor- bzw. Nachteile der überregionalen Netzwerkzusammenstellung genau abzuwägen und eventuell in Folgestudien zu untersuchen. Auch Möglichkeiten der Online-Zusammenarbeit könnten ein Weg sein, um gegebenenfalls größere räumliche Distanzen zu überwinden.
Als Mehrwert der Studie wird die umfängliche Begleitung von der Netzwerkzusammenstellung und Themenfindung bis hin zum Transfer und der Multiplikation in der Einzelschule genannt. Leider wird hierbei nicht transparent gemacht, in welcher Weise das Personal, welches von den Einzelschulen in die Netzwerkgruppen entsandt wird, ausgewählt wird. Auch bleibt unklar, wie der Transfer und die Umsetzung von Ideen in der Einzelschule gestaltet oder unterstützt werden, wobei dies für den Erfolg und die Nachhaltigkeit der Netzwerkarbeit grundlegend erscheint.
Ergänzend zu den genannten Ergebnissen plant das Autorenteam in einer Folgestudie mittels qualitativer Fallstudien zu untersuchen, inwiefern hier dargestellte evidenzbasiert zusammengestellte Netzwerkgruppen sowie evidenzbasiert ausgewählte Themenschwerpunkte einen Mehrwert gegenüber herkömmlichen netzwerkbasierten Schulentwicklungsprojekten bieten.
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