Fragestellungen der Studie:

  • Wie entwickeln sich soziale Kompetenz und Integration in Abhängigkeit von besonderem Förderbedarf, Migrationshintergrund und sozialer Herkunft?

Rezension zur Studie

Elting, C. (2019). Potenzielle Stellschrauben zur Förderung sozialer Kompetenz und sozialer Integration – Ergebnisse der Längsschnittstudie KOMENSKI. In H. Knauder & C.-M. Reisinger (Hrsg.), Individuelle Förderung im Unterricht. – Empirische Befunde und Hinweise für die Praxis (S. 25–38). Münster, New York: Waxmann.

Grundschulklassen weisen aufgrund ihrer unselektierten Schülerschaft ein hohes Maß an Heterogenität auf. Christian Elting forscht nach empirischen Hinweisen für einen konstruktiven Umgang mit dieser Heterogenität, indem er zum einen untersucht, wie sich soziale Kompetenz und Integration von Kindern entwickeln in Abhängigkeit von verschiedenen Heterogenitätsmerkmalen (Migrationshintergrund, soziale Herkunft, besonderer pädagogischer Förderbedarf). Zum anderen identifiziert er Klassen, in denen trotz einer herausfordernden Klassenkomposition eine überdurchschnittliche Entwicklung von sozialer Kompetenz und Integration erfolgt, und analysiert, inwiefern sich besondere „klimatische“ Aspekte in derartigen Klassen erkennen lassen.

Hierzu wurden 443 Kinder der 3. Jahrgangsstufe, ihre Eltern und Lehrkräfte zum Teil wiederholt befragt, um Heterogenitätsmerkmale sowie die Entwicklung von sozialer Kompetenz, Integration und von klimatischen Aspekten des Klassensettings (Partizipation, Rückmeldeverhalten und Klassenklima) fragebogengestützt zu erfassen.

Aus Sicht der betroffenen Kinder geht ein besonderer pädagogischer Förderbedarf mit einer geringeren sozialen Integration einher, im Hinblick auf soziale Herkunft und Migrationshintergrund variieren die selbsteingeschätzte soziale Kompetenz und Integration allenfalls geringfügig. Während die Kinder im Verlauf des Schuljahres einen Abwärtstrend wahrnehmen, sehen Lehrkräfte eher einen Aufwärtstrend bei der Entwicklung von sozialer Kompetenz und Integration.

Lehrkräfte schätzen die soziale Kompetenz und Integration beim Vorliegen eines Heterogenitätsmerkmals im Durchschnitt geringer ein als die betroffenen Schülerinnen und Schüler und tendieren dazu, niedrige soziale Herkunft und besonderen pädagogischen Förderbedarf als Entwicklungsnachteile für soziale Kompetenz und Integration anzusehen. Wenngleich es gelingt, Klassen mit besonders günstiger Entwicklung zu identifizieren, lassen sich Zusammenhänge mit besseren klimatischen Aspekten nicht statistisch absichern.

Auch wenn die vollkommen unterschiedlichen Bewertungen der Entwicklung von sozialer Kompetenz und Integration durch Kinder und Lehrkräfte ein aufregendes Ergebnis der Studie sind, bleiben viele Fragen offen, vor allem hinsichtlich potenzieller Stellschrauben zur Förderung sozialer Kompetenz und Integration. Neben der unerklärlichen Ausblendung der Lehrkraftperspektive bei dieser Frage zeigen sich einige begriffliche Schwächen.

Nachfolgende Reflexionsfragen sind ein Angebot, die Befunde der rezensierten Studie auf das eigene Handeln als Lehrkraft oder Schulleitungsmitglied zu beziehen und zu überlegen, inwiefern sich Anregungen für die eigene Handlungspraxis ergeben. Die Befunde der rezensierten Studien sind nicht immer generalisierbar, was z. B. in einer begrenzten Stichprobe begründet ist. Aber auch in diesen Fällen können die Ergebnisse interessante Hinweise liefern, um über die eigene pädagogische und schulentwicklerische Praxis zu reflektieren.

Reflexionsfragen für Lehrkräfte:

  • Welchen Wert lege ich auf die Entwicklung sozialer Kompetenz und Integration in meiner Klasse? Welche Möglichkeiten sehe ich, diese Entwicklung zu fördern?
  • Welche Rolle könnten dabei Partizipation durch Schülerinnen und Schüler, mein Rückmeldeverhalten oder das Klassenklima dabei spielen?
  • Ist mir bewusst, dass meine Einschätzung von der Entwicklung sozialer Kompetenz und Integration sich völlig von derjenigen meiner Schülerinnen und Schüler unterscheiden kann? Bemühe ich mich darum, die dementsprechende Einschätzung der Schülerschaft kennenzulernen?

Reflexionsfragen für Schulleitungen:

  • Wie und in welchem Ausmaß wird in meiner Schule bereits daran gearbeitet, um soziale Kompetenz und Integration zu stärken? Wie ist die aktuelle Situation an meiner Schule im Hinblick auf soziale Kompetenz oder Integration zu bewerten? Wie wird dies aus unterschiedlicher Perspektive (Eltern, Schülerschaft, Lehrkräfte …) wahrgenommen? Worin besteht diesbezüglich dringender zukünftiger Handlungsbedarf?
  • Welche Vorgaben der Schuladministration gibt es im Hinblick auf die Förderung sozialer Kompetenz oder Integration?
  • Welche Unterstützungsangebote zur Förderung sozialer Kompetenz und Integration gibt es? Wie können solche Unterstützungsangebote durch meine Schule genutzt werden? Welche Voraussetzungen sollten dafür an der Schule geschaffen werden? Verfügt das Kollegium über die erforderlichen Kompetenzen und Einstellungen, um soziale Kompetenz und Integration im Schulalltag zu fördern?

Christian Elting untersucht, inwiefern Möglichkeiten bestehen, soziale Kompetenz und Integration im Kontext inklusiver Settings zu fördern. Hierbei geht er von einem Inklusionsverständnis aus, das er in dreierlei Hinsicht bestimmt:

  • Der Begriff „Inklusion“ wird von Elting keineswegs auf die gemeinsame Beschulung von Kindern mit/ohne Behinderung beschränkt, sondern generell als konstruktiver Umgang mit schulischer Heterogenität verstanden. Hierbei geht der Autor von Grundschulen aus, deren Klientel kaum selektiert ist, wodurch ein hohes Maß an Heterogenität besteht (z. B. im Hinblick auf soziale Herkunft, Migrationshintergrund und Behinderung). Für den Aufbau einer sinnvollen pädagogischen Förderung hält der Autor es für geboten, dass Lehrkräfte die heterogenen Entwicklungsvoraussetzungen der Schüler und Schülerinnen erschließen, um auf dieser Basis individuelle Lernumgebungen gestalten zu können. (Weites Inklusionsverständnis)
  • Inklusion geht für Elting über bloßes räumliches Beisammensein behinderter/nicht behinderter Kinder hinaus, vielmehr sei eine Mitbestimmung und Teilhabe aller Kinder geboten. Gelungene Inklusion sei dementsprechend dann gegeben, wenn alle Kinder einer Klasse sich als sozial kompetent und sozial integriert erlebten. (Partizipatives Inklusionsverständnis
  • Inklusion erfordere eine ökosystemische Förderung und würde damit an Kompetenzen des Kindes und „klimatischen Aspekten des Settings“ ansetzen: Letzteres würde sich zum Beispiel in der Eröffnung von Partizipationsmöglichkeiten der Kinder, im Rückmeldeverhalten der Lehrkraft und im allgemeinen Beziehungsklima in der Klasse ausdrücken. (Ökosystemisches Inklusionsverständnis)

Elting weist auf einen Mangel an grundschulpädagogischen Studien hin, die von einem so definierten weiten Inklusionsverständnis ausgehen und soziale Kompetenz und Integration sowie klimatische Aspekte des Klassensettings aus der Perspektive sowohl der Kinder als auch der Lehrkräfte zu erfassen versuchten. Daher seien mögliche Wirkzusammenhänge zwischen Heterogenitätsmerkmalen der Schülerschaft, dem klimatischen Setting in der Klasse und der Entwicklung von sozialer Kompetenz und Interaktion noch nicht zufriedenstellend geklärt.

Auf diesen Mangel reagiert die Einrichtung der Längsschnittstudie KOMENSKI, in deren Rahmen „Stellschrauben“ identifiziert werden sollen, mit denen sich soziale Kompetenz und Integration positiv beeinflussen lassen. Die Arbeit von Elting zielt dabei auf die Klärung von zwei Fragestellungen ab:

  1. Wie entwickeln sich soziale Kompetenz und Integration von Kindern je nach deren Heterogenitätsmerkmalen?
  2. Können Klassen identifiziert werden, in denen eine überdurchschnittliche Entwicklung von sozialer Kompetenz und Integration trotz einer herausfordernden Klassenkomposition zu beobachten ist, und welche besonderen klimatischen Aspekte sind in derartigen „Optimalklassen“ zu erkennen?

Die zugrundeliegende KOMENSKI-Studie beruht auf einer quantitativen Längsschnitt-Erhebung mit drei Messwiederholungen.

Stichprobe
Die Stichprobe von 443 Drittklässlerinnen und Drittklässlern wurde in einem – nicht näher identifizierten – großstädtischen Schulamtsbezirk erhoben. 48 % der Kinder waren weiblich, 59 % wiesen einen Migrationshintergrund auf (je nach Klasse 11 – 94 %), eine niedrige soziale Herkunft hatten 55 % der Schülerinnen und Schüler (je nach Klasse 0 – 88 %), ein besonderer pädagogischer Förderbedarf bestand in 28 % der Fälle (je nach Klasse 0 – 69 %). Auf dieser Zahlenbasis beurteilt der Autor die Stichprobe als herausfordernd und heterogen. Darüber hinaus wurden 30 Lehrkräfte befragt.

Erhebungsinstrumente
Die Daten wurden mittels Fragebögen erfasst: Kinder und Eltern lieferten zu Beginn der 3. Klasse Daten zu Migrationshintergrund und sozialer Herkunft, Lehrkräfte schätzten pädagogischen Förderbedarf ein. Im Rahmen von drei zusätzlichen Terminen, die sich von Beginn bis zum Ende der 3. Klasse erstreckten, wurden die soziale Kompetenz und die Integration der Kinder erfasst, beim zweiten dieser Termine wurden auch Aspekte des Klassenklimas (wie Partizipationsmöglichkeiten, Rückmeldeverhalten und Beziehungsklima) erhoben. Sowohl die soziale Kompetenz/Integration als auch das Klassenklima wurden jeweils durch Fragebögen für Schülerinnen und Schüler sowie Lehrkräfte abgefragt.

Die Heterogenitätsmerkmale wurden in Form von Ja/Nein-Entscheidungen erfasst, sie umfassen: Migrationshintergrund (Herkunft mindestens eines Elternteils aus dem Ausland), soziale Herkunft (mindestens ein Elternteil hat tertiären Bildungsabschluss), Förderbedarf (Lehrer attestiert besonderen pädagogischen Förderbedarf). Die Aufsummierung der Heterogenitätsmerkmale ergibt das pädagogische Herausforderungspotenzial der Kinder.

Zur Erfassung der sozialen Kompetenz wurden in Kinder- und Lehrerfragebogen durch jeweils vier Items die Aspekte 1. Empathie, 2. Perspektivübernahme, 3. Regulation der Gefühle anderer und 4. prosoziales Verhalten ermittelt. Ebenfalls in Form von jeweils vier Items wurden hinsichtlich der sozialen Integration des Kindes die Aspekte 1. emotionales Integriertsein, 2. soziales Integriertsein und 3. leistungsmotivationales Integriertsein erfasst.
Bei den klimatischen Aspekten unterscheidet der Autor 1. Partizipationsgelegenheit (unterteilt in die Aspekte Öffnung, Mitbestimmung, Teilhabe), 2. Rückmeldeverhalten (Aspekte: individuelle Unterstützung, individuelle Rückmeldung, Fehlerrückmeldung, Bezugsnormorientierung) und 3. Beziehungsklima (Aspekte: Angenommensein, Klassenklima). Diese Aspekte wurden anhand von jeweils vier bis 13 Items erfasst. 

Im Schülerfragebogen erfolgte die Einschätzung der Items jeweils anhand einer vierteiligen Antwortskala (stimmt gar nicht bis stimmt genau). Demgegenüber füllten die Lehrkräfte den Fragebogen zum klimatischen Setting mit sechsteiligen Skalen (stimmt gar nicht bis stimmt genau) an fünf aufeinanderfolgenden Schultagen mit Bezug auf die Kernfachstunden aus, die so gewonnenen Werte wurden über die fünf Tage gemittelt. Für die Teilaspekte „individuelle Rückmeldung“ und „Fehlerrückmeldung“ teilt der Autor mit, dass bei ihnen die Überprüfung der inneren Konsistenz (Cronbachs α = .55 bzw. .59) gerade noch Werte ergibt, die den Mindestanforderungen gerecht werden.

Auswertung
Um der Frage nachzugehen, ob die Entwicklung von sozialer Kompetenz und Integration heterogenitätsabhängige Unterschiede erkennen lässt, erfolgten einfaktorielle multivariate Varianzanalysen (mit Messwiederholung). Die jeweils betrachtete Heterogenitätsdimension entsprach dabei der unabhängigen Variable, während die jeweiligen Teilaspekte der sozialen Kompetenz und Integration als abhängige Variablen galten. Eine anschließende Wiederholung der Berechnung unter kovarianzanalytischer Kontrolle bezüglich der Klassenzugehörigkeit diente der Prüfung, ob die festgestellten Effekte hierdurch modifiziert werden.

Die Suche nach „Optimalklassen“ und ihren Merkmalen erfolgte mittels hierarchischer Clusteranalysen, denen die Werte der Entwicklung von sozialer Kompetenz und Integration aus Selbstsicht der Kinder zugrunde lagen. Die Entwicklung wurde aus den Mittelwertdifferenzen zwischen dem ersten und letzten Messzeitpunkt abgeleitet. Es waren hierbei drei Cluster (Gruppen) nachzuweisen. Cluster 2 enthält Klassen mit einer besonders positiven Entwicklung von sozialer Kompetenz/Integration, also mögliche Optimalklassen. Im Gegensatz dazu steht Cluster 3: Soziale Kompetenz und Integration zeigen hier eine deutlich unterdurchschnittliche Entwicklung. Cluster 1 liegt zwischen diesen beiden Gruppen und wird im Folgenden nicht betrachtet.

Entwicklung der sozialen Kompetenz/Integration nach Heterogenitätsmerkmalen
Die Ausprägungen von sozialer Kompetenz und Integration, welche anhand der Selbstsicht der Schülerinnen und Schüler ermittelt wurden, belegen zwar signifikante, jedoch eher schwache Effekte zugunsten der Kinder mit Migrationshintergrund bzw. niedriger sozialer Herkunft und Nachteile für Kinder mit Förderbedarf. Hinsichtlich der sozialen Integration gibt es nur für den Förderbedarf einen signifikanten Wert, demnach lässt sich bei Kindern mit Förderbedarf ein moderater negativer Effekt belegen.

Bei der Beurteilung durch die Lehrkraft („Fremdsicht“) liegen in jedem Fall signifikante Effekte vor. Bei Kindern mit Migrationshintergrund bzw. niedriger sozialer Herkunft sind bezüglich sozialer Kompetenz und Integration geringe bis moderate, bei Kindern mit besonderem Förderbedarf starke nachteilige Effekte nachweisbar. Die Kinder mit besonderem Förderbedarf stehen demnach in Selbst- und Fremdsicht als „Risikokinder“ da.

Bei der Untersuchung der Zeiteffekte stellt der Autor fest, dass in der Selbstsicht aller Schülergruppen ein Abwärtstrend hinsichtlich der Entwicklung sozialer Kompetenz und Integration festzustellen ist. Diese Beobachtung erweist sich als signifikant und von geringer bis moderater Effektstärke. In der Fremdsicht hingegen ist durchgängig ein kleiner bis mittlerer Aufwärtstrend bei allen Schülergruppen erkennbar, außer bei niedriger sozialer Herkunft bezüglich sozialer Integration.

Auffällige Unterschiede von Fremd- und Selbstsicht zeigen sich auch dann, wenn man Gruppen von Schülerinnen und Schülern mit unterschiedlichen Heterogenitätsmerkmalen untersucht: Die Selbsteinschätzung der Kinder zeigt keine nennenswerten Unterschiede im Hinblick darauf, ob Kinder zu einer Gruppe mit einem bestimmten Heterogenitätsmerkmal gehören.

Anders bei der Fremdeinschätzung: Niedrige soziale Herkunft geht in der Einschätzung der Lehrkräfte mit leichten signifikanten Entwicklungsnachteilen bei der sozialen Integration einher. Hier öffnet sich bei den Daten eine Schere zwischen den Werten der Kinder abhängig von ihrer sozialen Herkunft. Kinder mit Förderbedarf liegen in der Lehrkrafteinschätzung deutlich bei sozialer Kompetenz und Integration hinter Kindern ohne Förderbedarf, allerdings deutet sich ein schwacher bis mäßiger Aufholeffekt an. Dementsprechend erweisen sich Kinder mit niedriger sozialer Herkunft und – erneut – Kinder mit Förderbedarf in der Fremdeinschätzung als „Risikokinder“.

Potenzielle Stellschrauben zur individuellen Förderung sozialer Kompetenz und Integration
Im Cluster 2 (überdurchschnittlich positive Entwicklung von sozialer Kompetenz und Integration) ist das Herausforderungspotenzial gering: Die Klassen enthalten die geringste Zahl von Kindern mit Migrationshintergrund, niedriger sozialer Herkunft und besonderem Förderbedarf, in Cluster 3 (unterdurchschnittliche Entwicklung von sozialer Kompetenz und Integration) ist es in dieser Hinsicht umgekehrt. Zugleich sind die klimatischen Aspekte des Settings in Cluster 2 am höchsten, in Cluster 3 am niedrigsten ausgebildet. Allerdings ist der Unterschied der Cluster 2 und 3 im Rahmen von t-Tests weder im Hinblick auf das Herausforderungspotenzial noch bei den klimatischen Aspekten signifikant ausgeprägt.

Fokussiert man – von diesen Befunden ausgehend – auf einzelne Klassen, so wird das Bild präziser: Eine beispielhaft ausgewählte Klasse (= Klasse 25) mit besonders hohem Herausforderungspotenzial, zugleich aber einer sehr positiven Entwicklung von sozialer Kompetenz und Integration unterscheidet sich hinsichtlich der klimatischen Bedingungen von einer Klasse (= Klasse 23) mit geringem Herausforderungspotenzial, aber ungünstiger Entwicklung von sozialer Kompetenz und Integration. Schülerinnen und Schüler der Klasse 25 schätzen die Partizipationsgelegenheiten und das Beziehungsklima signifikant als günstiger ein als Kinder in Klasse 23, während beim Rückmeldeverhalten kaum Unterschiede nachweisbar sind. 

Elting hebt als ein Ergebnis seiner Studie die Wahrnehmungsunterschiede zwischen der oben wiedergegebenen Selbsteinschätzung der Entwicklung sozialer Kompetenz und Integration durch die Schulkinder und der Fremdeinschätzung durch die Lehrerinnen oder Lehrer hervor. Hieraus schließt er auf stereotype Einschätzung der Lehrkräfte vor allem bezüglich der Kinder mit besonderem pädagogischen Förderbedarf. Während heterogenitätsbezogene Entwicklungsnachteile in den Selbsteinschätzungen der Kinder keine Rolle spielen, glauben Lehrkräfte derartige Nachteile bei Kindern mit niedriger sozialer Herkunft oder mit besonderem pädagogischem Förderbedarf zu erkennen. 

Allerdings weist der Autor auf die großen Schwierigkeiten hin, den Befund der unterschiedlichen Fremd- und Selbsteinschätzung zu deuten: Kausale Rückschlüsse seien nicht möglich, zumal es an verlässlichen Außenkriterien fehle, welche erkennen ließen, ob einer der beiden Perspektiven der Vorzug zu geben sei. Auf dieser Basis entwirft er zwei gegensätzliche Szenarien, die beide nach der Datenlage denkbar seien. So wäre es einerseits denkbar, dass Lehrkräfte in ihrer Klasse Differenzlinien deutlicher als Kinder wahrnähmen und in der Folge durch Erwartungseffekte vertiefen würden. Dies entspräche einer Stigmatisierung. Andererseits könnte aber aus den Daten auch auf hohe diagnostische Kompetenz der Lehrkräfte geschlossen werden. Und Kompensationseffekte, das heißt die von den Lehrern wahrgenommene leichte Verbesserung der Werte bei den Schülerinnen und Schülern mit Förderbedarf könnten in diesem Fall sogar als gelungene individuelle Förderung gedeutet werden.

Bei der zweiten Forschungsfrage stellt der Autor noch einmal heraus, dass die festgestellte Tendenz, dass „ein größeres Herausforderungspotenzial mit einer geringeren Ausprägung klimatischer Aspekte und einer geringeren Entwicklung sozialer Kompetenz und Integration assoziiert ist“, letztlich statistisch nicht signifikant belegbar ist. Immerhin lässt sich die Existenz von Optimalklassen nachweisen und ein Beispiel belegt, dass die überdurchschnittliche Entwicklung von sozialer Kompetenz und Integration mit klimatischen Aspekten (große Partizipationsgelegenheiten, positives Beziehungsklima) einhergeht.

Ausgehend von dem Bewusstsein, dass Reichweite und Belastbarkeit der Ergebnisse methodischen Limitationen unterliegen, entwickelt Elting Perspektiven für die zukünftige Forschung, etwa eine Klärung der Interaktion von Heterogenitätsdimensionen, eine mehrebenenanalytische Datenauswertung und eine verstärkte Einbeziehung der Lehrkraftperspektive in die Untersuchung.

So bedeutsam die Frage nach potenziellen Stellschrauben bezüglich der Förderung sozialer Kompetenz und Integration zweifelsohne ist, kann die Studie von Elting bestenfalls teilweise als geglückt betrachtet werden. 

Noch am gelungensten ist das Design mit der Fragebogenerhebung bei Lehrkräften und Kindern. Dieses liefert auch ein sehr wichtiges Ergebnis, nämlich dass Selbst- und Fremdeinschätzung der Entwicklung sozialer Kompetenz und Integration vollkommen auseinanderfallen, das heißt dass diese von Kindern und Lehrerkräften völlig unterschiedlich eingeschätzt wird. Allerdings bleibt dieser Unterschied trotz seiner Bedeutung für den Fortgang der Untersuchung unerklärt. Schlimmer noch: Ohne Begründung wird die Perspektive der Fremdeinschätzung fallen gelassen und nur die Perspektive der Selbsteinschätzung wird zur Grundlage der Clusterung von Klassen mit großen oder geringen Entwicklungsfortschritten eingesetzt. 

Bei der Suche danach, ob klimatische Aspekte des Settings sich in den Clustern von Klassen mit unterschiedlicher Entwicklung sozialer Kompetenz und Integration unterscheiden, wird kein statistisch signifikantes Ergebnis erzielt. Der Versuch wiederum, hier anhand von zwei beispielhaft ausgewählten Klassen weiterzukommen, muss fragwürdig bleiben, solange unklar ist, ob das dabei erzielte Ergebnis ein Zufallsbefund ist oder ob es sich als systematisch wiederholbar erweist. Im Hinblick auf die Stellschrauben, welche den Aufbau sozialer Kompetenz und Integration fördern können, und somit auf das eigentliche Ziel der Arbeit ist der Erkenntnisfortschritt also als sehr gering bzw. als zu wenig abgesichert zu bezeichnen. 

Darüber hinaus erschweren sprachliche und formale Unklarheiten die Arbeit. Das beginnt mit der Verwendung von Begriffen, die aus anderen Wissenschaften entliehen sind und mit ihrer Übertragung auf die Pädagogik eher zur Unschärfe als zur gebotenen Klarheit beitragen, etwa die Begriffe ökosystemisch oder klimatisch. Darüber hinaus ärgert die Übernahme von unreflektiert gebrauchten Begriffen. So hebt der Autor häufig den Begriff individuelle Förderung hervor, ohne dass dieser beim inhaltlichen Design seiner Arbeit eine nennenswerte Rolle spielen würde (und ohne zu bedenken, dass Förderung immer den einzelnen Schüler betrifft, also gar nicht anders als individuell sein kann).

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Diese Rezension wurde erstellt von:
Dr. Heinz Sander, Lehrer am Gymnasium der Stadt Kerpen – Europaschule und Privatdozent an der Universität zu Köln

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