Fragestellungen der Studie:

  • Was veranlasst Lehrkräfte dazu, bei Diskriminierung von lesbischen, schwulen, bisexuellen, transsexuellen/-identen/-gender oder intergeschlechtlichen Personen einzugreifen?
  • Was bewegt Lehrkräfte dazu, sexuelle und geschlechtliche Vielfalt in der Schule zu thematisieren?

Rezension zur Studie

Klocke, U., Latz, S. & Scharmacher, J. (2019). Schule unterm Regenbogen? Einflüsse auf die Berücksichtigung sexueller und geschlechtlicher Vielfalt durch Lehrkräfte. Psychologie in Erziehung und Unterricht, 66(2), 131–156.FIS Bildung

Sexuelle und geschlechtliche Vielfalt wird in der Schule selten ausführlich oder als etwas Selbstverständliches thematisiert, obwohl Homo- und Transphobie unter Schülerinnen und Schülern weit verbreitet sind. Die Diskriminierung von lesbischen, schwulen, bisexuellen, transsexuellen/-identen/-gender oder intergeschlechtlichen Personen (LSBTI) stellt daher in Bildungseinrichtungen eine andauernde Herausforderung dar, doch nur wenige Lehrkräfte intervenieren in solchen Fällen konsequent.

Klocke et al. untersuchen, was Lehrkräfte in der Schule dazu bewegt, sexuelle und geschlechtliche Vielfalt zum Thema zu machen und bei Diskriminierung von LSBTI-Kindern und -Jugendlichen in der Schule einzugreifen. Hierzu entwickelten sie Fragebögen in Anlehnung an die Theorie geplanten Verhaltens und führten eine Online-Befragung durch, an der insgesamt 1.162 Lehrkräfte von verschiedenen Schulformen der Primar- und Sekundarstufe aus mehreren Bundesländern teilnahmen. Die Auswertung der querschnittlichen Daten erfolgte mittels hierarchischer Regressionsanalysen.

Einfluss auf das Verhalten von Lehrkräften haben u. a.: persönlicher Kontakt zu LSBTI-Personen, das Wissen um LSBTI-Schüler*innen in der eigenen Schule, der Besuch von Fortbildungen und Kenntnisse zum Thema sexuelle und geschlechtliche Vielfalt, Richtlinien zur Behandlung des Themas in der Schule, die Verfügbarkeit passender Unterrichtsmaterialien, Wissen über konkrete Interventionsstrategien bei Diskriminierung von LSBTI-Personen und die Überzeugung, dass das eigene Verhalten die Akzeptanz für Vielfalt steigern kann.

Aufgrund des überzeugenden Designs liefert die Untersuchung detaillierte und aussagekräftige Ergebnisse, aus denen sich konkrete Ansatzpunkte für Unterstützungssysteme sowie für Schulentwicklungsprozesse und Leitungshandeln in der Schule ableiten lassen.

Nachfolgende Reflexionsfragen sind ein Angebot, die Befunde der rezensierten Studie auf das eigene Handeln als Lehrkraft oder Schulleitungsmitglied zu beziehen und zu überlegen, inwiefern sich Anregungen für die eigene Handlungspraxis ergeben. Die Befunde der rezensierten Studien sind nicht immer generalisierbar, was z. B. in einer begrenzten Stichprobe begründet ist. Aber auch in diesen Fällen können die Ergebnisse interessante Hinweise liefern, um über die eigene pädagogische und schulentwicklerische Praxis zu reflektieren.

Reflexionsfragen für Lehrkräfte:

  • Inwiefern erachten Sie die rechtlichen Vorgaben, die auf die Akzeptanz von sexueller und geschlechtlicher Vielfalt zielen (z. B. die Richtlinien für die Sexualerziehung), als eine Unterstützung bei Ihrer pädagogischen Arbeit?
  • Welche Kenntnisse haben Sie zu sexueller und geschlechtlicher Vielfalt? Welche Überzeugungen und Einstellung führen bei Ihnen dazu, dass Sie sexuelle und geschlechtliche Vielfalt in der Schule (nicht) thematisieren und bei der Diskriminierung von LSBTI-Schüler*innen (nicht) eingreifen?
  • Gibt es in Ihrer Schule LSBTI-Schüler*innen oder Kolleg*innen, die öffentlich zu ihrer sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität stehen? Inwiefern ist Ihre Schule ein Ort, an dem sich LSBTI-Schüler*innen frei, sicher und anerkannt fühlen können? Welche Möglichkeiten haben Sie, um gegen Ausgrenzung und Diskriminierung von LSBTI-Schüler*innen und -Kolleg*innen in Ihrer Schule vorzugehen?
  • Inwiefern können Sie die Akzeptanz von sexueller und geschlechtlicher Vielfalt in Schule und Unterricht fördern – auch wenn Sie Fächer unterrichten, in denen Sexualerziehung kein expliziter Unterrichtsinhalt ist?

Reflexionsfragen für Schulleitungen:

  • Inwiefern spiegeln sich die rechtlichen Vorgaben, die auf eine Akzeptanz von sexueller und geschlechtlicher Vielfalt zielen (z. B. die Richtlinien für die Sexualerziehung), im Schulprogramm und in schulinternen Konzepten und Lehrplänen wider?
  • Gibt es in Ihrer Schule LSBTI-Schüler*innen oder Kolleg*innen, die öffentlich zu ihrer sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität stehen? Inwiefern ist Ihre Schule ein Ort, an dem sich LSBTI-Schüler*innen und -Kolleg*innen frei, sicher und anerkannt fühlen können? Welche Möglichkeiten haben Sie, um gegen Ausgrenzung und Diskriminierung von LSBTI-Schüler*innen und -Kolleg*innen in Ihrer Schule vorzugehen?
  • Gibt es an Ihrer Schule Personen (z. B. Schulsozialarbeiterinnen und -arbeiter, Vertrauens- oder Beratungslehrkräfte), die gegenwärtig oder zukünftig als Ansprechpersonen für Fragen der sexuellen und geschlechtlichen Vielfalt und bei Diskriminierung von LSBTI-Schüler*innen fungieren (können)?
  • Gibt es an Ihrer Schule ein Anti-Mobbing-Konzept und wenn ja, werden die Diskriminierung von LSBTI-Schüler*innen sowie mögliche Präventions- und Interventionsstrategien darin explizit thematisiert?
  • Wie können Sie zur Vertiefung der Kenntnisse zu sexueller und geschlechtlicher Vielfalt bei Kolleginnen und Kollegen beitragen (beispielsweise durch Zurverfügungstellung von Materialien, durch schulinterne und externe Fortbildungen, durch die Ermöglichung von kollegialer Beratung)?
  • Inwieweit können Sie Kolleginnen und Kollegen, die sexuelle und geschlechtliche Vielfalt in der Schule zum Thema machen und gegen Diskriminierung vorgehen, stärken und unterstützen – insbesondere bei Konflikten mit Eltern?
  • Könnte Ihre Schule Teil des Projektes „Schule der Vielfalt – Schule ohne Homophobie“ werden?

Einleitend konstatieren Klocke et al., dass Homophobie und Transphobie an Schulen weit verbreitet seien. Sie referieren Forschungsbefunde, nach denen „Schwuchtel“ und „Lesbe“ gängige Schimpfworte auf deutschen Schulhöfen sind und die Hälfte der Kinder und Jugendlichen sich über Schüler*innen lustig macht, die sich nicht geschlechtskonform verhalten oder die für lesbisch bzw. schwul gehalten werden.

Dies habe vielfältige negative Auswirkungen auf das Wohlbefinden von nicht-heterosexuellen und transsexuellen Schüler*innen: Sie trauen sich oftmals nicht, ihre sexuelle Orientierung bzw. ihre Geschlechtsidentität anzuerkennen und offen zu leben, sie werden vermehrt diskriminiert und sie begehen häufiger Suizide als andere Jugendliche.

Intergeschlechtliche Personen werden aus Angst vor Stigmatisierung meist bereits im Säuglings- oder Kindesalter genitalen, medizinisch oftmals nicht notwendigen Operationen unterzogen, um der Kategorie ‚Mädchen‘ oder ‚Junge‘ zu entsprechen. Daher sind sie in der Regel in der Schule nicht sichtbar. Dennoch können sie von Diskriminierung betroffen sein, wenn sie sich beispielsweise nicht geschlechtskonform verhalten oder in ihrem körperlichen Erscheinungsbild von geschlechtsspezifischen Normen abweichen.

Klocke et al. weisen darauf hin, dass der Europarat deshalb im Jahr 2010 alle Mitgliedsstaaten dazu aufgefordert hat, für LSBTI-Jugendliche eine unterstützende und diskriminierungsfreie Atmosphäre in Schulen zu schaffen. Zudem sollten in Lehrplänen und Unterrichtsmaterialen objektive Informationen über sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität aufgenommen werden, weshalb in vielen Bundesländern die entsprechenden Richtlinien überarbeitet wurden. Untersuchungen zeigen aber, dass sexuelle und geschlechtliche Vielfalt im Unterricht nur selten ausführlich behandelt wird oder als etwas Selbstverständliches vorkommt (vgl. Klocke, 2012). Zudem gehen viele Lehrkräfte nicht konsequent gegen Diskriminierungen von lesbischen, schwulen oder sich nicht geschlechtskonform verhaltenden Schüler*innen vor. Dabei sei die Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt in der Schule u. a. auch vom Verhalten der Lehrkräfte abhängig.

In der vorliegenden Studie wird daher der Frage nachgegangen, was Lehrkräfte dazu bewegt, sexuelle und geschlechtliche Vielfalt in der Schule zu thematisieren und bei Diskriminierung von lesbischen, schwulen, bisexuellen, transsexuellen/-identen/-gender oder intergeschlechtlichen Personen (LSBTI) einzugreifen. Die Studie zielt darauf ab, aus den Erkenntnissen möglichst praxisrelevante Hinweise zu Aufklärungsmaßnahmen und strukturellen Änderungen ableiten zu können.

Um mögliche Einflussvariablen zu identifizieren, werden die Lehrkräfte sowohl zu ihrer Person, ihren Einstellungen und Überzeugungen als auch zu ihrem Verhalten befragt. Für die Erforschung der Verhaltensweisen wird die Theorie geplanten Verhaltens zugrunde gelegt, bei der davon ausgegangen wird, dass individuelles Verhalten von verschiedenen Aspekten abhängt (vgl. Ajzen, 1991; Fishbein & Ajzen, 2010). Bei der vorliegenden Studie wurden vor allem drei Aspekte untersucht:

  • Verhaltensüberzeugungen und Ergebnisbewertungen, also beispielsweise eine bejahende Einstellung zu intervenierenden Verhaltensweisen bei Diskriminierung und die Meinung, dass das Ergebnis dieses Verhaltens positiv ist,
  • normative Überzeugungen relevanter Bezugspersonen oder -gruppen, also beispielsweise die Vorstellung, dass Eltern eine Thematisierung von sexueller und geschlechtlicher Vielfalt im Unterricht ablehnen, sowie
  • Kontrollüberzeugungen, also die Gewissheit, ein Verhalten zu kontrollieren und auszuführen zu können wie beispielsweise das pädagogische Eingreifen bei Diskriminierung.

Entsprechend wurden in der vorliegenden Untersuchung Lehrkräfte befragt, ob sie davon ausgehen, durch eine Thematisierung im Unterricht zu einer stärkeren Akzeptanz von sexueller und geschlechtlicher Vielfalt unter den Kindern und Jugendlichen beizutragen, und ob sie dies für wünschenswert erachten. Weitere berücksichtigte Aspekte sind Annahmen der Lehrkräfte über Erwartungen von anderen Lehrkräften, von der Schulleitung oder von Eltern und eine Selbsteinschätzung bezüglich der eigenen Kenntnisse zum Thema.

Ergänzt wurden diese Untersuchungsaspekte um weitere Variablen, bei denen das Forschungsteam aufgrund vorliegender wissenschaftlicher Befunde ebenfalls einen Einfluss auf Absicht und Verhalten der Lehrkräfte erwarten. Hierzu zählen Personenvariablen (Geschlecht, Alter, eigene sexuelle Orientierung, Religiosität, politische Orientierung), situative Variablen (Teilnahme an Fortbildungen, unterrichtete Fächer und Jahrgangsstufen, persönlicher Kontakt zu LSBTI-Personen, Thematisierung von Mobbing im Schulprogramm) sowie weitere Überzeugungen bzw. spezifische Kenntnisse zum Thema (z. B. Kenntnis des erhöhten Suizidrisikos bei LSBTI-Schüler*innen).

In einer ersten Pilotstudie wurden zunächst 36 Personen mit Lehrerfahrung offen befragt. Daraus wurden verschiedene Verhaltensüberzeugungen, normative Überzeugungen und Kontrollüberzeugungen von Lehrkräften zur Thematisierung sexueller und geschlechtlicher Vielfalt sowie zur Intervention bei Diskriminierung von LSBTI-Schüler*innen ermittelt. Zu Aspekten, die von mindestens drei Personen benannt wurden, sind im späteren Fragebogen Items entwickelt worden. Zudem integrierten Klocke et al. weitere Items in den Fragenbogen, die aus bereits durchgeführten Studien stammen oder aus bildungspolitischen Beiträgen abgeleitet wurden. In einer zweiten Pilotstudie wurde der entstandene Fragebogen an 48 Personen vorgetestet und die Eignung der Items statistisch überprüft (Faktorladungen ab .72).

Im Rahmen der Hauptstudie führte das Forschungsteam schließlich zwischen September und Dezember 2014 eine Online-Befragung durch, an der sich 1.162 Lehrkräfte verschiedener Schulformen (Grundschulen, Gymnasien, Haupt-, Real-, und Gesamtschulen, Schulen mit sonderpädagogischem Schwerpunkt, Berufsschulen) aus Baden-Württemberg, Niedersachsen, Sachsen, Berlin und Hessen beteiligten. Der Fragebogen wurde über verschiedene Berufsverbände von Lehrkräften und pädagogischen Fachkräften verbreitet. Es gab zwei Fragebogenteile: Für Befragungsteil A (Thematisierung sexueller und geschlechtlicher Vielfalt) lagen nach Ausschluss von Lehrkräften mit mehr als 10 % fehlenden Werten Angaben von 707 Personen vor, für Befragungsteil B (Intervention gegen Diskriminierung) von 776 Personen. Von einem Teil der Lehrkräfte wurden beide Befragungsteile ausgefüllt, sodass insgesamt 1.102 Fälle in die Analysen eingingen. Die Stichprobe wird hinsichtlich der erfassten Personenvariablen im Text ausführlich beschrieben.

Es wurden für die Thematisierung sexueller und geschlechtlicher Vielfalt sowie für die Intervention bei Diskriminierung von LSBTI-Schüler*innen jeweils zwei hierarchische Regressionsanalysen berechnet: eine für das Verhalten und eine für die Intention. Die untersuchten Variablen wurden stufenweise (hierarchisch) in das Berechnungsmodell einbezogen, um zu prüfen, inwiefern die erhobenen Personenvariablen (u. a. Religiosität, Alter, Geschlecht), situativen Variablen (u. a. Weiterbildung, Anti-Mobbing-Schulleitbild) und weiteren Überzeugungen und Wissen (z. B. erhöhte Suizidrate bei LSBTI-Schüler*innen) als Ausgangsbedingungen die theoretisch postulierten Überzeugungen (Verhaltensüberzeugungen, normative Überzeugungen, Kontrollüberzeugungen) und Bewertungen (Ergebnisbewertungen) beeinflussen und ob diese Konstrukte den Einfluss der Ausgangsbedingungen auf die abhängigen Variablen (Intention und Verhalten) vermitteln, oder ob Zusammenhänge zwischen Ausgangsbedingungen und abhängigen Variablen existieren, die nicht (vollständig) durch die theoretischen Konstrukte erklärt werden.

Im ersten Schritt wurden demnach die Personenvariablen, die situativen Variablen sowie Überzeugungen und Kenntnisse der Lehrkräfte eingeschlossen, die das Forschungsteam zusätzlich zu den Variablen der Theorie des geplanten Verhaltens in die Untersuchung aufgenommen haben (siehe „Hintergrund“). In einem zweiten Schritt wurden dann die Variablen der Theorie des geplanten Verhaltens (Verhaltensüberzeugungen, normative Überzeugungen, Kontrollüberzeugungen) in die Berechnungen einbezogen.

Thematisierung sexueller und geschlechtlicher Vielfalt
In einem ersten Untersuchungsschritt wurden mögliche Zusammenhänge zwischen der tatsächlichen bzw. beabsichtigten Thematisierung sexueller und geschlechtlicher Vielfalt im Unterricht und den erfragten Personenvariablen, den situativen Variablen sowie spezifischen Überzeugungen und Kenntnissen der Lehrkräfte überprüft.

Von den untersuchten Personenvariablen hat die politische Überzeugung den stärksten Erklärungswert für die Thematisierung sexueller und geschlechtlicher Vielfalt: Je weiter links sich eine Person politisch verortet, desto häufiger findet eine Thematisierung statt bzw. wird diese beabsichtigt. Auch besprechen ältere Lehrkräfte das Thema eher als jüngere. Die signifikanten standardisierten β-Koeffizienten liegen hierbei zwischen β = .08 und β = .22. Die Befragten geben zudem eher an, sexuelle und geschlechtliche Vielfalt zu thematisieren bzw. dies zukünftig tun zu wollen, wenn

  • sie persönlichen Kontakt zu LSBTI-Personen haben,
  • sie annehmen, dass sich unter ihren Schüler*innen LSBTI-Personen befinden,
  • sie gesellschaftswissenschaftliche Fächer, Biologie oder Sprachen unterrichten und
  • wenn sie eine Fortbildung zu sexueller und geschlechtlicher Vielfalt besucht haben (β-Koeffizienten zwischen β = .09 und β = .28).

Zudem ist die Intention, sexuelle und geschlechtliche Vielfalt zukünftig zu thematisieren, stärker ausgeprägt bei Frauen sowie bei Personen, die um das erhöhte Suizidrisiko von LSBTI-Schüler*innen wissen (β-Koeffizienten zwischen β = -.07 und β = .10).

In einem zweiten Untersuchungsschritt wurden die Variablen der Theorie des geplanten Verhaltens zusätzlich in die Analysen einbezogen. Es zeigt sich, dass Lehrkräfte sexuelle und geschlechtliche Vielfalt eher thematisieren (und teilweise auch zukünftig thematisieren wollen), wenn

  • sie davon ausgehen, dass bestimmte Richtlinien eine Thematisierung vorschreiben,
  • passende Lehrmaterialien zur Verfügung stehen,
  • sie gute Kenntnisse zu dem Thema haben,
  • sie der Überzeugung sind, dass eine Thematisierung die Akzeptanz von Vielfalt erhöht und sie dies für wünschenswert erachten, und
  • bei ihnen die Sorge, durch eine Thematisierung Konflikte mit Eltern zu bekommen, eher gering ausgeprägt ist (β-Koeffizienten zwischen β = .06 und β = .22).

Die Absicht, sexuelle und geschlechtliche Vielfalt zukünftig zu thematisieren, ist zudem stärker ausgeprägt bei Lehrkräften, die eine mögliche Beeinträchtigung traditioneller Werte (z. B. Abwertung eines traditionellen Familienbildes) weniger negativ bewerten. Auch wenn Lehrkräfte der Überzeugung sind, dass die Lernenden, deren Eltern und das Kollegium eine Thematisierung sexueller und geschlechtlicher Vielfalt befürworten, beabsichtigen sie eher, dies zukünftig auch zu tun (β-Koeffizienten zwischen β = .09 und β = .11).

Entgegen der Erwartungen wird kein eigenständiger Einfluss der Variablen „Sexuelle Orientierung“ und „Religiosität“ identifiziert. Die eigene sexuelle Orientierung und die religiöse Einstellung der Lehrkräfte führen nicht zu mehr oder weniger Engagement hinsichtlich der Thematisierung von sexueller und geschlechtlicher Vielfalt.

Aufgrund der Vorgehensweise bei einer hierarchischen, d. h. stufenweise Regressionsanalyse lässt sich erkennen, dass vier der im ersten Auswertungsschritt gefundenen Zusammenhänge auch nach Einbezug der übrigen Variablen im zweiten Auswertungsschritt weiterhin einen signifikanten Einfluss auf die Thematisierung von sexueller und geschlechtlicher Vielfalt haben: das Alter der Lehrkräfte, der persönliche Kontakt zu LSBTI-Personen, die Annahme, dass sich unter den eigenen Schüler*innen LSBTI-Personen befinden sowie die unterrichteten Fächer (β-Koeffizienten zwischen β = .09 und β = .19). Das bedeutet, dass bei diesen Variablen nur ein Teil ihres Effekts durch die anderen erhobenen, vermittelnden Variablen, wie z. B. ein höherer Kenntnisstand zum Thema, erklärt werden kann.

Intervention bei Diskriminierung von LSBTI
Auch bei der beabsichtigten oder tatsächlichen Intervention bei Diskriminierung von LSBTI-Schüler*innen werden im ersten Schritt verschiedene Einflussvariablen identifiziert. So intervenieren ältere Lehrkräfte und Frauen eher bei homo- und transphoben Diskriminierungen als jüngere Lehrkräfte und Männer. Zudem berichten Lehrkräfte eher von Interventionen bei Diskriminierung gegen LSBTI-Schüler*innen und der Intention, dies auch zukünftig tun zu wollen, je mehr LSBTI-Personen sie persönlich kennen (β-Koeffizienten zwischen β = .10 und β = -.21).

Die Absicht, zukünftig gegen Diskriminierung von LSBTI-Schüler*innen vorzugehen, ist bei Lehrkräften ausgeprägter,

  • je stärker sie sich politisch links verorten,
  • wenn Mobbing im Leitbild oder in der Schulordnung ihrer Schule geächtet wird und
  • wenn sie Biologie als Unterrichtsfach haben (β-Koeffizienten zwischen β = .08 und β = -.14).

Einen negativen Effekt auf eine Intervention gegen Diskriminierung bzw. auf die Absicht zur Intervention hat die Annahme, dass LSBTI-Schüler*innen durch ihr Verhalten selbst Diskriminierung provozieren (β = -.14 bzw. -.26). Auch Lehrkräfte mit der Vorstellung, dass sich LSBTI-Personen ihre sexuelle Orientierung bzw. Geschlechtsidentität selbst ausgesucht hätten, haben eine geringere Intention, gegen Diskriminierung vorzugehen (β = -.13).

Bei den Variablen der Theorie des geplanten Verhaltens, die in einem zweiten Schritt einbezogen wurden, zeigen sich ebenfalls Zusammenhänge. So intervenieren Lehrkräfte bei Diskriminierungen gegen LSBTI-Schüler*innen eher,

  • wenn sie Strategien kennen, wie man bei Diskriminierung intervenieren kann und
  • wenn sie der Überzeugung sind, dass LSBTI-Schüler*innen und deren Eltern eine Intervention erwarten (β-Koeffizienten zwischen β = .13 und β = .21).

Zudem ist bei den Lehrkräften die Intention für zukünftige Interventionen höher,

  • wenn sie die Erhöhung der Akzeptanz von sexueller Vielfalt und den Abbau von Diskriminierung besonders positiv bewerten und zudem der Überzeugung sind, durch ihre Intervention eine solche Akzeptanzförderung erreichen zu können und
  • wenn sie nicht erwarten, dass eine Intervention zu einem Ansehensverlust ihrerseits führt, weil sie selbst für LSBTI gehalten werden (β-Koeffizienten zwischen β = .13 und β = .31).

Berücksichtigt man die zuletzt genannten Variablen der Theorie des geplanten Verhaltens, bleiben von den für den ersten Schritt berichteten Zusammenhängen noch drei signifikant: das Geschlecht, die Anzahl persönlicher Kontakte zu LSBTI-Personen und (als negativer Effekt) die Annahme, LSBTI-Schüler*innen würden durch ihr Verhalten selbst Diskriminierungen provozieren (β-Koeffizienten zwischen β = .08 und β = -.11). Hier ist von eigenständigen Effekten auszugehen, die sich nicht (vollständig) durch die zusätzlich untersuchten Variablen erklären lassen.

Hintergrund
Die Studie bearbeitet ein relevantes Forschungsdesiderat mit der Frage, welche Faktoren bei Lehrkräften dazu führen, dass sie sexuelle und geschlechtliche Vielfalt in der Schule thematisieren und bei Diskriminierungen gegen LSBTI-Schüler*innen eingreifen. Der Forschungsstand hierzu wird hinreichend dargestellt und bezieht auch internationale Forschungsergebnisse  ein. Die Hintergrundinformationen der Studie liefern gut verständliche Hinweise und Erläuterungen zu sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität und markieren anhand von bereits bekannten Erkenntnissen die Problematiken, die sich in der Schule für LSBTI*-Kinder und -Jugendliche ergeben. Einige Begrifflichkeiten wie Mobbing oder Diskriminierung werden nicht definiert oder gegeneinander abgegrenzt, was im Hinblick auf die Befunde der Untersuchung aber wenig problematisch ist.

Design
Sowohl die Untersuchungsanlage und -stichprobe als auch die verwendeten Instrumente, die Datenaufbereitung und das methodische Vorgehen bei der Datenauswertung werden in dem vorliegenden Artikel sehr ausführlich beschrieben. Alle Skalen und Items werden zudem tabellarisch mit Mittelwert, Standardabweichung und ggf. Cronbachs Alpha aufgeführt. Die Auswahl der untersuchten Einflussvariablen wird nachvollziehbar und durch bereits bekannte Forschungsbefunde gestützt dargelegt. Die detaillierte Darstellung der genannten Aspekte trägt zu einer hohen Transparenz, aber auch zu einer großen Informationsflut und gewissen Unübersichtlichkeit bei.

Für statistisch weniger Versierte bietet es sich an, den methodischen Teil im Text zu überspringen und sich auf den ebenfalls ausführlichen Ergebnisteil zu konzentrieren. Dort werden alle Ergebnisse der durchgeführten Regressionsanalysen sowohl tabellarisch als auch textlich dargelegt. Die Erläuterung der Ergebnisse im Fließtext ist gut verständlich. Allerdings fällt es durch die Fülle der untersuchten Einflussvariablen schwer, sich einen Überblick über die Ergebnisse zu verschaffen. Besser gelingt dies in der Zusammenfassung und Interpretation der Ergebnisse, wobei auch hier eine unterstützende Visualisierung hilfreich gewesen wäre (z. B. mehr Zwischenüberschriften, Aufzählungen zentraler Aspekte, graphische Darstellungen).

Methodisch ist anzumerken, dass die berichteten signifikanten β-Koeffizienten als Maße für den Einfluss der unabhängigen Variablen auf die untersuchten Zielvariablen teilweise sehr niedrig sind (< .1). Da sich die Signifikanz bei diesen niedrigen Werten aus der verhältnismäßig großen Stichprobe ergibt, ist nicht bei allen berichteten Einflussfaktoren von einem hohen Effekt auf die untersuchten Aspekte auszugehen.

Ergebnisse
Aus pädagogischer, aber auch bildungspolitischer Perspektive greift die vorliegende Studie eine virulente Problematik auf: In Schulen werden sexuelle und geschlechtliche Vielfalt häufig nicht als etwas Selbstverständliches sichtbar, LSBTI-Schüler*innen erleben hier oft Ausgrenzungen und Diskriminierungen (Kugler & Nordt, 2012, 43). Bei der Förderung von Akzeptanz von sexueller und geschlechtlicher Vielfalt haben Lehrkräfte in der Schule eine Schlüsselfunktion. Für die Forschungsfrage und die formulierten Forschungshypothesen liefert die Untersuchung wichtige Erkenntnisse und Schlussfolgerungen. Die Ergebnisse haben eine hohe Aussagekraft hinsichtlich der Faktoren, die dazu beitragen, dass Lehrkräfte sexuelle und geschlechtliche Vielfalt thematisieren und bei Diskriminierungen intervenieren. Einerseits bestätigen sich plausible Vorannahmen und Ergebnisse aus bereits durchgeführten Studien, andererseits fördert die Studie einige überraschende Befunde zutage. So bestätigt sich beispielsweise die Annahme, dass eher Personen, die sich politisch links verorten, weibliche Lehrkräfte und Lehrkräfte bestimmter Fächer sich des Themas annehmen, während die eigene sexuelle Orientierung bei den Lehrkräften erstaunlicherweise keinen signifikanten Einfluss auf die Thematisierung von sexueller und geschlechtlicher Vielfalt hat. Die quantitativen Befunde dieser Studie liefern kaum Erklärungsansätze für die Ursachen dieser Zusammenhänge. Sie können aber als Grundlage für weitere qualitative Untersuchungen dienen, die beispielsweise erforschen, warum Männer in der Schule offenbar seltener bei Diskriminierungen gegen LSBTI-Schüler*innen eingreifen und in welchem Zusammenhang diese Verhaltensweisen mit gesellschaftlichen Männlichkeitsanforderungen stehen.

Von besonderem Nutzen für die schulische Praxis sind die Erkenntnisse zum Wissen und zu den Überzeugungen der Lehrkräfte sowie den situativen Bedingungen. Das Forschungsteam kann anhand der Untersuchungsergebnisse zeigen, dass weniger Einstellungen und Normen als vielmehr Kenntnisse und die Verhaltenskontrolle der Lehrkräfte für die Akzeptanz von sexueller und geschlechtlicher Vielfalt eine hohe Bedeutung haben. Aus den ermittelten Faktoren werden wertvolle, konkrete und gut umsetzbare Handlungsempfehlungen für Schul- und Unterrichtsentwicklung abgeleitet: Neben Fortbildungen zur Vermittlung von Kenntnissen zu sexueller und geschlechtlicher Vielfalt und der Erweiterung von Kompetenzen, z. B. zu Interventionsstrategien bei Diskriminierung, ist für Lehrkräfte die Unterstützung durch die Schulleitung, beispielsweise in Konfliktfällen mit den Eltern, von hoher Bedeutung. Weiterhin ist das Bewusstsein zentral, dass nicht nur Unterrichtsfächer, die zur Sexualerziehung beitragen, sondern jedes Unterrichtsfach Möglichkeiten zur Förderung der Akzeptanz von sexueller und geschlechtlicher Vielfalt bietet (vgl. Kleiner, 2015, 356). Hierfür sind u. a. auch Lehrmaterialien, in denen LSBTI-Personen und -Lebensformen selbstverständlich vorkommen, notwendig – und zwar für möglichst viele Schulformen, Fächer und Altersstufen, weil sonst meistens „ungebrochen die Alltagstheorie heterosexueller Zweigeschlechtlichkeit in den Schulbüchern reproduziert und […] selten gendertheoretisches Wissen aufgegriffen und umgesetzt wird“ (Hartmann, 2012, 2).

Bemerkenswert ist der Befund, dass das Vorhandensein und die Kenntnisse der administrativen Vorgaben wie Lehrpläne und Richtlinien, aber auch die Inhalte von Schulprogrammen, schulinternen Konzepten und Curricula in diesem Kontext einen Einfluss auf das pädagogische Handeln der Lehrkräfte haben. In diesen Regelungen sollten die Förderung der Akzeptanz von sexueller und geschlechtlicher Vielfalt, aber auch Interventionsgebote bei Diskriminierungen explizit benannt sein, damit diese Vorgaben nicht nur in Absichtserklärungen, sondern in konkreten Handlungsweisen von Lehrkräften münden. Darüber hinaus sollte sichergestellt werden, dass Lehrkräften die behördlichen und schulischen Vorgaben bekannt sind.

Persönliche Kontakte zu LSBTI-Personen motivieren Lehrkräfte offenbar stark zur Thematisierung von sexueller und geschlechtlicher Vielfalt und zur Intervention bei Diskriminierung von LSBTI-Schüler*innen. Die Initiierung solcher Kontakte kann keine Aufgabe von Schule sein. Allerdings sollte Schule als Ort der Sichtbarwerdung und Respektierung von LSBTI-Personen in- und außerhalb der Schule fungieren. Der persönliche Kontakt ist dann möglicherweise bereits gegeben und die Wahrscheinlichkeit höher, dass Lehrkräfte bei ihrer schulischen Arbeit zur Akzeptanz von sexueller und geschlechtlicher Vielfalt beitragen.

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Unterstützung für die Praxis

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Diese Rezension wurde erstellt von:
Ilke Glockentöger, Lehrerin, Referentin an der Qualitäts- und UnterstützungsAgentur – Landesinstitut für Schule (QUA-LiS NRW), Soest. Arbeitsschwerpunkte: Gendersensible Bildung und Erziehung in der Schule

Simone Tusche, Dipl.-Päd., Referentin an der Qualitäts- und UnterstützungsAgentur – Landesinstitut für Schule (QUA-LiS NRW), Soest. Arbeitsschwerpunkte: Bildungsberichterstattung, Transfer von Forschungswissen, Ganztagsschulforschung

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