Fragestellungen der Studie:

  • Inwieweit wird evidenzbasiertes Handeln von Lehrkräften davon beeinflusst, wie die schulischen Strukturen in den Bereichen Informationsbeschaffung und Kommunikation, interner und externer Kooperation und Partizipation von den Lehrkräften wahrgenommen werden?

Rezension zur Studie

Zlatkin-Troitschanskaia, O., Förster, M., Preuße, D. & Mater, O. (2016). The relationship between teachers’ evidence-based actions and communication, cooperation, and participation structures at schools. Journal for educational research online, 8(3), 59–79.FIS Bildung

Zlatkin-Troitschanskaia et al. untersuchen in ihrem Beitrag, inwieweit evidenzbasiertes Handeln von Lehrkräften davon beeinflusst wird, wie die schulischen Strukturen in den Bereichen Informationsbeschaffung und Kommunikation, interne und externe Kooperation und Partizipation von den Lehrkräften wahrgenommen werden. Sie differenzieren zudem zwischen interner und externer Evidenzorientierung. Letztere bezieht sich auf die Nutzung wissenschaftlicher oder systematischer Datenquellen, während sich die interne Evidenzorientierung auf Erkenntnisse bezieht, die von den Schulen selbst, zum Beispiel durch interne Evaluationen, generiert werden. Dazu haben die Verfasser 2011/12 eine Fragebogenstudie an verschiedenen Schulen in Rheinland-Pfalz durchgeführt und 2640 Lehrkräfte befragt.

Dabei werden von den Autorinnen und dem Autor folgende Zusammenhänge gefunden:

  1. Lehrkräfte, die die Strukturen im Bereich Kommunikation und Informationsbeschaffung als gut entwickelt wahrnehmen, orientieren sich bei ihrer Arbeit stärker an Daten aus internen und externen Quellen, arbeiten also stärker evidenzbasiert.
  2. Bei der Kooperation innerhalb der Schule und mit externen Partnern ergibt sich ein uneinheitliches Bild, was den Zusammenhang mit evidenzbasiertem Handeln angeht.
  3. Für den Bereich der von den Lehrkräften wahrgenommenen Partizipation in der Schule zeigte sich ein starker Zusammenhang: Lehrkräfte, die die Möglichkeiten zur Partizipation als gut entwickelt wahrnahmen, geben an, stärker evidenzbasiert zu arbeiten.

Insgesamt kommen die Forschenden zu dem Schluss, dass die untersuchten Faktoren durchaus Einfluss darauf haben, inwieweit bei schulischen Entscheidungen auf empirische Daten aus internen und externen Quellen zurückgegriffen wird. Sie weisen aber darauf hin, dass die gefundenen Zusammenhänge nicht so stark sind, wie erwartet wurde, und dass deshalb in zukünftigen Forschungsprojekte verstärkt weitere Faktoren, wie der Einfluss der Schulleitung oder die Schulkultur, untersucht werden sollten.

Die Studie gibt Hinweise darauf, wie schulorganisatorisch darauf hingearbeitet werden kann, evidenzbasiertes Handeln bei Lehrkräften zu fördern.

Nachfolgende Reflexionsfragen sind ein Angebot, die Befunde der rezensierten Studie auf das eigene Handeln als Lehrkraft oder Schulleitungsmitglied zu beziehen und zu überlegen, inwiefern sich Anregungen für die eigene Handlungspraxis ergeben. Die Befunde der rezensierten Studien sind nicht immer generalisierbar, was z. B. in einer begrenzten Stichprobe begründet ist. Aber auch in diesen Fällen können die Ergebnisse interessante Hinweise liefern, um über die eigene pädagogische und schulentwicklerische Praxis zu reflektieren.

Reflexionsfragen für Lehrkräfte

  • Wie nehme ich die Strukturen an meiner Schule in den Bereichen Kommunikation, Informationsbeschaffung und Partizipation wahr?
  • Inwieweit spielen Ergebnisse aus internen Evaluationen bei meinen pädagogisch-didaktischen Entscheidungen eine Rolle?
  • Inwieweit spielen Ergebnisse aus der Forschung bei meinen pädagogisch-didaktischen Entscheidungen eine Rolle?

Reflexionsfragen für Schulleitungen

  • Wie nehmen die Lehrkräfte an meiner Schule die Strukturen in den Bereichen Kommunikation, Informationsbeschaffung und Partizipation wahr?
  • Was tue ich, um diese Strukturen zu verbessern?
  • Wie gelangen Ergebnisse aus internen Evaluationen zu meinen Lehrkräften?
  • Wie mache ich meinen Lehrkräften Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung zugänglich?
  • Welche institutionalisierten Verfahren zur Rezeption und Umsetzung derselben gibt es?

Der Studie zugrunde liegt die generelle Annahme, dass bestimmte Schulstrukturen das Handeln von Lehrpersonen beeinflussen. Änderungen in den Schulstrukturen wurden in den letzten 20 Jahren ausgehend von dem schlechten Abschneiden Deutschlands in der ersten PISA-Studie angestoßen und betrafen unterschiedliche Bereiche wie eine Verstärkung von kooperativen und partizipativen Strukturen oder das Erheben von Daten zur Schulentwicklung durch Qualitätsanalysen/Schulinspektionen. Letztere können aber nur dann Wirkung entfalten, wenn ihre Ergebnisse sowie evaluationsbasiertes Wissen von den Lehrkräften zur Kenntnis genommen werden und in evidenzbasiertes Handeln münden.

Die Forschenden stützen sich auf Forschungsergebnisse, die beispielsweise zeigen, dass die Verfügbarkeit von Daten (Breiter & Karbautzki, 2012), die Frage, ob Forschungsergebnisse in der Schulöffentlichkeit diskutiert werden (Pant & Thiel, 2012), und intensive Kooperationsstrukturen (Wayman et al., 2012) einen positiven Einfluss auf evidenzbasiertes Handeln von Lehrkräften haben. Dabei muss aber beachtet werden, dass die Beziehungen zwischen den Faktoren komplex sind und sie sich teilweise untereinander beeinflussen.

Untersucht wird erstens der Einfluss der Strukturen im Bereich der Kommunikation und Informationsbeschaffung, welcher von den Forschenden als ein Prozess verstanden wird, der auf einem Informationsbedarf basiert und durch Kommunikation oder die Nutzung verschiedener Medien erfolgt (Zlatkin-Troitschanskaia, 2016, S. 63). Zweitens werden die Kooperationsstrukturen betrachtet, die nach Boller (2009) von zufälligen Gesprächen bis zu systematischer, institutionalisierter Zusammenarbeit reichen können. Mit Bezug zu Spieß (2004) wird Kooperation differenziert in interne Kooperation, worunter die Interaktion zwischen mehreren Lehrkräften einer Schule verstanden wird, und externe Kooperation, die Interaktion zwischen Lehrkräften und externen Organisationen wie anderen Schulen meint (Zlatkin-Troitschanskaia et al., 2016, S. 63). Als dritten möglichen Einflussfaktor untersucht die Studie die Partizipationsstrukturen innerhalb der Schule, da beispielsweise für eine frühe Einbeziehung von Lehrkräften in Projekten zur Schulentwicklung Daten vorliegen, die annehmen lassen, dass diese zu einer größeren Akzeptanz solcher Projekte führt (Rolff, 2006).

Der Ansatzpunkt dieser Studie ist es, die genaue Beziehung zwischen den schulspezifischen organisatorischen Rahmenbedingungen und dem evidenzbasierten Handeln der Lehrkräfte zu untersuchen. Es geht somit um die Frage, wie neu geschaffene Schulstrukturen in zentralen Bereichen wie Kommunikation und Informationsbeschaffung, interner und externer Kooperation sowie Partizipationsstrukturen mit den Evidenzorientierungen der Lehrkräfte zusammenhängen.

Die vorgestellten Daten entstammen einer Fragebogenstudie, die in den Jahren 2011/12 durchgeführt wurde. Dabei wurden 2.640 Lehrkräfte von 153 Schulen unterschiedlichen Typs (Grundschulen bis Berufskollegs) in Rheinland-Pfalz im Rahmen des EviS-Projekts (Evidenzbasiertes Handeln im schulischen Mehrebenensystem) mit zwei Fragebögen befragt. Das Projekt wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert. Den in diesem Artikel referierten Ergebnissen liegen die Daten eines Fragebogens, der von 1.387 Lehrkräften von 124 Schulen beantwortet wurde, zugrunde. Dieser Fragebogen benutzte für die unabhängigen Variablen angepasste Items aus Fragebögen von Stumm et al. (2010) mit einer 5-stufigen Likert-Skala von „Ich stimme gar nicht zu“ bis „Ich stimme vollkommen zu“. Enthalten waren Items zu allen vier oben genannten Bereichen schulischer Strukturen (Kommunikation, interne Kooperation, externe Kooperation und Partizipation), wie zum Beispiel „An unserer Schule haben wir ein Mitspracherecht bei Entscheidungen, die unsere Arbeit betreffen“ (Bereich Partizipation) und „An unserer Schule haben wir Steuergruppen, um die Qualität unserer Arbeit zu verbessern“ (Bereich interne Kommunikation). Die abhängige Variable Evidenzorientierung wurde – ebenfalls mit Bezug zu bereits vorhandenen Fragebögen von Stumm et al. – in zwei Dimensionen untersucht: interne Evidenzorientierung (z.B. Daten aus schulinternen Befragungen) und externe Evidenzorientierung (z.B. Daten aus allgemeinen wissenschaftlichen Untersuchungen).

Es wurden folgende Hypothesen aufgestellt:

  • Hypothese 1: Je besser die Kommunikations- und Informationsbeschaffungsstrukturen nach Ansicht der Lehrkräfte sind, desto höher ist die Evidenzorientierung der Lehrkräfte.
  • Hypothese 2: Je ausgeprägter die internen Kooperationsstrukturen nach Ansicht der Lehrkräfte sind, desto höher ist die Evidenzorientierung der Lehrkräfte.
  • Hypothese 3: Je ausgeprägter die externen Kooperationsstrukturen nach Ansicht der Lehrkräfte sind, desto höher ist die Evidenzorientierung der Lehrkräfte.
  • Hypothese 4: Je ausgeprägter die Partizipationsstrukturen nach Ansicht der Lehrkräfte sind, desto höher ist die Evidenzorientierung der Lehrkräfte.

Die Daten wurden mittels verschiedener statistischer Verfahren analysiert. Zunächst wurden sog. konfirmatorische Faktorenanalysen durchgeführt, um die Genauigkeit der interessierenden Variablen und die Zuverlässigkeit der einzelnen Skalen (sog. interne Konsistenzen) zu prüfen. Bei allen Skalen, das heißt zu jedem Bereich (Kommunikation, interne Kooperation, externe Kooperation und Partizipation), lag die Zuverlässigkeit aller Skalen über dem empfohlenen Grenzwert. Auf dieser Basis wurde dann ein mehrstufiges Strukturgleichungsmodell berechnet, um den Zusammenhang zwischen wahrgenommenen Schulstrukturen und der Evidenzorientierung von Lehrkräften zu erfassen. Hierbei wurden die beiden Subskalen externe Evidenzorientierung und interne Evidenzorientierung einzeln berücksichtigt. Eine Auswertung, bei der die Lehrkräfte in Gruppen nach ihren Herkunftsschulen zusammengefasst werden, war aufgrund der geringen Stichprobengröße nicht möglich.

Hypothese 1 konnte bestätigt werden. Es fand sich ein signifikanter, positiver Zusammenhang zwischen der wahrgenommenen Kommunikation und Informationsbeschaffung und der internen (β = .146; SD = 0.037) und externen (β = .214; SD = 0.039) Evidenzorientierung. Die internen Kooperationsstrukturen (Hypothese 2) stehen nach den Ergebnissen der Studie nur in einem signifikanten positiven Zusammenhang mit der externen Evidenzorientierung (β = .316; SD = 0.075), während die externen Kooperationsstrukturen (Hypothese 3) einen solchen nur für die interne Evidenzorientierung zeigen (β = .246; SD = 0.103). In Bezug auf Hypothese 4 zeigte sich, dass die wahrgenommene Partizipation einen vergleichsweise großen Einfluss auf die interne (β = .454; SD = 0.068) und externe (β = .350; SD = 0.068) Evidenzorientierung hat. Lehrkräfte, die die eigenen Partizipationsmöglichkeiten als groß wahrnehmen, handeln eher evidenzbasiert.

Die Auswertung der Fragebögen zeigte außerdem einen Zusammenhang zwischen den einzelnen unabhängigen Variablen (Schulstruktur): Wurden beispielsweise die Kommunikation und Informationsbeschaffung als positiv wahrgenommen, so traf das auch auf die Kooperation und Partizipation zu.

Insgesamt erklären die untersuchten vier unabhängigen Variablen 55 % der internen und fast 38 % der externen Evidenzorientierung.

Hintergrund

Die Studie kann sich in den meisten Gebieten auf eine breite Basis vorhandener Forschungsergebnisse zum Einfluss schulischer Strukturen stützen.

Design

Für die Umfrage wurde eine verhältnismäßig große Zahl von Lehrkräften befragt. Für weitergehende statistische Untersuchungen, bei denen auch kausale Zusammenhänge untersucht werden könnten, war die Stichprobe allerdings zu klein. Weiterhin stammt die Stichprobe nur aus einem Bundesland (Rheinland-Pfalz) und die Teilnahme war freiwillig, was die Zusammensetzung der Stichprobe verzerrt haben könnte. Interessant wäre es daher, in zukünftigen Studien auch Lehrkräfte aus anderen Bundesländern zu befragen.

Ergebnisse

Die Gesamtergebnisse dieser Studie zeigen, dass Lehrkräfte, die Schulstrukturen an ihrer Schule als gut entwickelt wahrnehmen, eine vergleichsweise größere Evidenzorientierung aufweisen. Auch wenn die Zusammenhänge zwischen Kommunikation und Informationsbeschaffung, interner und externer Kooperation und Partizipation auf der einen und evidenzbasiertem Handeln auf der anderen Seite nicht so stark sind, wie von den Forschenden erwartet worden war, so zeigt sich doch:

  • Lehrkräfte, die die Strukturen im Bereich Kommunikation und Informationsbeschaffung als gut entwickelt wahrnehmen, orientieren sich bei ihrer Arbeit stärker an Daten aus internen und externen Quellen, arbeiten also stärker evidenzbasiert.
  • Bei der Kooperation innerhalb der Schule und mit externen Partnern ergibt sich ein uneinheitliches Bild, was den Zusammenhang mit evidenzbasiertem Handeln angeht.
  • Für den Bereich der von den Lehrkräften wahrgenommenen Partizipation in der Schule zeigte sich ein starker Zusammenhang: Lehrkräfte, die die Möglichkeiten zur Partizipation als gut entwickelt wahrnahmen, gaben an, stärker evidenzbasiert zu arbeiten.

Wegen der insgesamt aber eher schwachen Zusammenhänge sehen die Forschenden großen Bedarf an weiteren Forschungen zum Beispiel zur Rolle der Schulleitungen. Daneben weisen sie darauf hin, dass die Daten allesamt auf Selbsteinschätzungen der Lehrkräfte beruhen. Zu fragen ist, inwieweit diese Selbsteinschätzungen zuverlässig sind. Interessant in diesem Kontext sind die Ergebnisse weiterer Forschungen, die zeigen, dass es genau die individuelle Wahrnehmung von Strukturen ist, die das Handeln beeinflusst, weniger der objektive Zustand derselben (Huppert & Abs, 2008).

Diese Rezension wurde erstellt von:
Dr. Sonja Hensel, Lehrerin am Berufskolleg in Siegburg sowie Lehrbeauftragte an der Universität Siegen. Arbeitsschwerpunkte: Rechtschreib-, Schreib- und Lesedidaktik, selbstreguliertes und kooperatives Lernen.

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